25 | 12 | 2019 | Schweiz | Video | 1 | 20553 |
25 | 12 | 2019 | Schweiz | Video |
1 20553 |
Die Bodensee-Seeforelle
«Silberbarren» werden sie nicht nur am Bodensee genannt. Die kraftvollen und perfekt angepassten Seeforellen sind dennoch sehr sensible Fische und ihre Geschichte ist untrennbar mit derjenigen ihres Sees und dessen Umgebung verbunden. «Petri-Heil» fasst die sehenswerten Publikationen der beiden internationalen Bodenseekommissionen IBKF und IGKB zusammen.
Was der Lachs für den Rhein unterhalb des Rheinfalls war, das ist oberhalb davon die Seeforelle – Flaggschiff-Art und Galionsfigur für den Gewässerschutz und eine nachhaltige Fischerei am Bodensee und in seinen Zuflüssen. Die Seeforelle hat diesen Status, weil die Ansprüche an ihren Lebensraum grösser sind als die der meisten anderen Fischarten. Damit ist sie ein hervorragender Bio-Indikator für den Zustand der Gewässer, in denen sie sich ernährt und fortpflanzt. Seeforellen leben dort, wo die Wasserqualität gut ist, wo sie sich ungehindert zwischen See und Fluss bewegen können und auch geeignete Laichplätze erreichen. Wenn die Gewässer verbaut, durch künstliche Hindernisse unterbrochen, durch die Wasserkraftnutzung belastet oder einfach zu stark verschmutzt sind, dann funktionieren weder Fischwanderung noch Fortpflanzung.
Unterschiedliche Geschwister
Bachforellen und Seeforellen haben eine unterschiedliche Färbung, Form und Grösse; trotzdem zählt sie die Wissenschaft zu einer einzigen Art; genetisch sind sie nahe verwandte Geschwister und tragen deshalb auch denselben lateinischen Namen: Salmo trutta. Wie kommt es dazu? Aus den Ur-Forellen haben sich im Lauf grosser Zeiträume unterschiedliche Forellentypen entwickelt. In den Fliessgewässern schwimmen jene Forellen, die sich seit jeher eine nahegelegene «Wohnung» suchen und mit dem zufrieden sind, was ihr eher begrenzter Lebensraum an Nahrung und Geschlechtspartnern zu bieten hat. Diese Bachforellen verbringen ihr gesamtes Leben in dem Bach- oder Flussabschnitt, in dem sie auch aus dem Ei geschlüpft sind. Ein Teil der Forellen hat sich risikofreudiger entwickelt. Diese Seeforellen haben die Tendenz, sich als Jungfische auf die Suche nach besseren Futtergründen zu begeben und flussabwärts zu wandern. Schliesslich landen sie im nahrungsreicheren See, leben dort und werden schliesslich zu den deutlich grösseren «Silberbarren». Ihre Herkunft können aber auch sie nicht ablegen: Wenn sich die Seeforellen fortpflanzen wollen, müssen sie dorthin zurückkehren, wo sie geboren wurden. So sind aus den Seeforellen Wanderfische geworden, die alljährlich vom See in die Laichgründe der Flüsse und Bäche aufsteigen. An den Laichplätzen angekommen, treffen sie wieder auf ihre sesshaften Verwandten. So kommt es in der Natur auch regelmässig wieder zur Vermischung der nahen Verwandten. Und längst nicht alle Nachkommen von Seeforellen wandern auch in den See zurück. So steckt in mancher Bachforelle auch noch eine Seeforelle und umgekehrt.
Lebenszyklus
In den grossen Flüssen beginnt die Wanderung zu den Laichplätzen bereits im Sommer, doch der eigentliche Laichzug findet erst im Spätherbst statt. Wie die Lachse kehren auch Seeforellen dorthin zurück, wo sie einst aus dem Ei geschlüpft sind. Das klappt jedoch nur, wenn sie in einer frühen Entwicklungsphase von ihrem Heimatgewässer «geprägt» wurden. Jeder Zufluss hat seine spezifischen Gerüche, und wahrscheinlich wird ein Laichplatz besonders schnell wiedergefunden, wenn dort bereits Jungfische des eigenen Stamms heranwachsen oder bereits aufgestiegene Laichfische anwesend sind. Wenn die grossen Fische am Laichplatz angekommen sind und sich nach ausgiebigen Revierkämpfen paarweise sortiert haben, beginnt der Laichvorgang. Das Weibchen gräbt mit peitschenartigen, seitlichen Bewegungen eine grosse Mulde in den Kiesgrund. Danach entlässt es Eier, das Männchen schwimmt hinzu und befruchtet sie. Von diesem Vorgang sind beide Tiere so sehr in Anspruch genommen, dass sie oft nicht bemerken, wenn andere, meist kleinere Seeforellen- und Bachforellenmännchen (Sneaker) schnell unter die grossen Laichfische schwimmen und ihr Sperma dazugeben. So werden die Eier eines Weibchens oft von verschiedenen Männchen befruchtet. Nach dem Ablaichen wird das Gelege wieder mit Kies zugedeckt. Aber auch die gut vergrabenen Eier sind noch nicht in Sicherheit. Der Kies, der sie umgibt, muss ständig von sauerstoffreichem Wasser durchströmt werden. Wenn zu viele Schmutzpartikel, Schlamm und Sand den Kies verstopfen, erstickt die Brut. Durch Winterhochwasser kann der Kies samt den Eiern abgeschwemmt werden und die Fortpflanzung fällt in einem solchen Jahr ganz aus. Auch die Wasserqualität kann durch toxische Stoffe beeinträchtigt werden und die Entwicklung der Seeforellen-Brut gefährden.
Sind die vielen Gefahren für die Eier überstanden, schlüpfen die kleinen Forellen drei bis vier Monate nach dem Ablaichen aus ihren Eiern. Sie sind dann zwischen zwei und drei Zentimeter lang und bleiben noch einige Wochen im Kies, während sie von ihrem Dottersack leben. Schliesslich beginnen sie zu schwimmen und verlassen das Kiesbett auf der Suche nach Nahrung. Bis sie dann rund 2 Jahren später erfolgreich in den See abwandern können, werden Gewässerverschmutzungen, Bauwerke und Betrieb von Wasserkraftanlagen, Wanderhindernisse und andere vom Menschen verursachte Störungen diesen Lebenszyklus erschweren.
Gestaltwandler
Forellen besitzen unter den Schuppen eine Haut, in der tausende steuerbare Pigmentzellen sitzen. Ähnlich einem Chamäleon können sie sich damit farblich ihrer Umgebung anpassen. So tragen die Seeforellen-Laichfische beim Einstieg in die Flüsse noch ihr silbernes «Seekleid». Doch im Fliessgewässer färbt sich ihre Haut rasch dunkel und der Fisch ist von oben vor dem Untergrund kaum mehr zu erkennen. Umgekehrt färben sich junge Seeforellen kurz vor dem Abwandern in den See silbern um; im offenen See sind sie dann besser vor möglichen Fressfeinden getarnt. Eine weitere Gestaltwandlung vollziehen die Seeforellen-Männchen. Wie ihren Verwandten, den Lachsen, wächst ihnen in der Laichzeit ein sogenannter Laichhaken aus dem Unterkiefer. Ob das männliche Accessoire nur dem Imponiergehabe dient oder auch bei den Revierkämpfen eine Rolle spielt, ist nicht bekannt. Der Haken bildet sich nach der Laichzeit wieder zurück. Aber wie ein mitwachsendes Tattoo behalten die Forellen ihr Leben lang dasselbe einmalige Punktmuster und lassen sich daran auch wiedererkennen.
Eine bewegte Geschichte
Bis etwa 1950 fingen die Berufsfischer aus dem Bodensee durchschnittlich 10 bis 12 Tonnen Seeforellen pro Jahr. Danach stieg der Fangertrag kurz an, weil man die damals neuartigen, unsichtbaren Nylon-Netze einsetzte. Zwischen 1960 und 1985 kam es neben dem Bau weiterer Wehre zu einer zunehmenden Gewässerverschmutzung und zur Überdüngung (Eutrophierung) des Bodensees. Eine der Folgen: In den tiefen See-Schichten wurde der Sauerstoff knapp. Um 1970 versiegten die Laichzüge der «Bodenseelachse» und der Fangertrag fiel auf rund drei Tonnen pro Jahr. Auch dieser Ertrag war nur durch intensiven Besatz zugekaufter Jungfische aus anderen Seen zu halten. Solche unangepassten Tiere wanderten aber nicht mehr zurück in die Laichgewässer.
Für die Fischerei- und Gewässerschutzfachstellen zeichnete sich früh ab, dass der Bodensee, seine Zuflüsse und ihre Lebensgemeinschaften weitere Belastungen nicht mehr schadlos ertragen konnten. In der Folge wurden entscheidende Massnahmenprogramme gestartet, wie der über fünf Milliarden Euro teure Ausbau von mehr als 200 Kläranlagen im gesamten Bodenseegebiet. Auch der Verzicht auf Phosphat in Waschmitteln war mitentscheidend dafür, dass seit Ende der 1980er-Jahre die Eutrophierung des Sees gebremst wurde und sich der See wieder erholen konnte. Die Seeforellen brauchten aber noch weitere Unterstützung: aus den letzten übrig gebliebenen Laichfischen wurden Populationen aufgebaut, die zur Reproduktion wieder in ihre Geburtsgewässer zurückkehrten. Hierfür mussten auch einige bedeutende Wanderhindernisse überwindbar gemacht oder ganz beseitigt werden.
Doch alleine damit ist es nicht getan, damit der Seeforellenbestand wieder sein ursprüngliches Niveau erreichen kann. Noch immer stehen den Seeforellen des Bodensees zahlreiche künstliche Hindernisse im Wege und einige Fischaufstiegshilfen funktionieren nur ungenügend, ganz zu schweigen von den fast überall fehlenden Einrichtungen für den Fischabstieg. Dazu kommen weitere negative Auswirkungen der Wasserkraftwerke wie Schwall und Sunk sowie Störungen des Geschiebehaushalts. Leider geht seit 2010 der Seeforellenbestand im Bodensee erneut stark zurück. Zu den Gründen hierfür zählen wohl in erster Linie die vielfältigen Folgen des Klimawandels (hohe Wassertemperaturen, Winterhochwasser, Krankheiten u. a.), aber auch die Langzeit-Wirkung von Schadstoffen und das Aufkommen fischfressender Vögel (v. a. Kormoran). Die Arbeit der beiden grossen internationalen Kommissionen IBKF und IGKB wird also künftig nicht weniger.
Es bleibt genug zu tun
Vieles wurde zur Rettung und Förderung der Seeforelle in den vergangenen 35 Jahren getan, vieles ist aber noch zu tun. Damit die Arterhaltung und die natürliche Vermehrung dieser «Traumfische» irgendwann auch ohne Hilfe des Menschen funktionieren kann, müssen die bisherigen Anstrengungen konsequent weitergeführt werden. Die wichtigsten Massnahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Künstliche Wanderhindernisse beseitigen oder für Fische durchgängig machen, damit auch hochwassersichere, saubere und kühlere Gewässer im Oberlauf erreicht werden können.
- Schlecht funktionierende Fischwanderhilfen sanieren und die Kraftwerkstufen mit Fischabstiegen und geeigneten Fischschutzanlagen ausrüsten, damit alle Fischgrössen auf- und absteigen können.
- Negative Auswirkungen des von Kraftwerken verursachten Schwall und Sunk-Betriebs reduzieren.
- Restwasserstrecken mit ausreichend Wasser versorgen, damit sie als Lebensraum und Wanderstrecke erhalten bleiben und das Wasser sich dort nicht zu stark erwärmt.
- Wasserentnahmen so regulieren, dass die Gewässerorganismen in Zeiten von Wassermangel und/oder grosser Hitze nicht zusätzlich belastet werden.
- Eine natürliche Geschiebedynamik ermöglichen, damit Laichplätze (passender Kies) zur Verfügung stehen und nicht verschlammen.
- Zwischen Landwirtschaftsland und Gewässer Pufferzonen schaffen, damit sich eine natürliche Ufervegetation entwickeln kann, die Gewässerflächen beschattet und Nährstoffeinträge ins Gewässer verringert werden.
- Grössere und kleinere Fliessgewässer im Bodensee-Einzugsgebiet so revitalisieren, dass natürliche Prozesse (wieder) ablaufen können und die Biodiversität erhöht wird.
- Die Abwasserreinigung beibehalten und den Eintrag von Pestiziden, Arzneimittelrückständen sowie andere Mikroverunreinigungen reduzieren, damit die Wasserqualität die Fische nicht schädigt und ein Aufkommen von Wasserinsekten und weiteren Wasserlebewesen ermöglicht.
- Fischereiliche Schonmassnahmen und die Bewirtschaftungspraxis regelmässig überprüfen und im Bedarfsfall optimieren, um eine nachhaltige Nutzung sicherzustellen.
- Den Einfluss fischfressender Vögel wie Kormorane reduzieren, um den Weiterbestand der Seeforellen und anderer gefährdeter Fischarten zu gewährleisten.
Engagement für den Bodensee
Die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) wurde 1893 ins Leben gerufen und regelt die Belange der Fischerei und des Fischschutzes am Bodensee-Obersee und in Teilen seines Einzugsgebiets. Die 1959 gegründete Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) setzt sich ein für einen vielfältigen und natürlichen Bodensee und intakte Zuflüsse. Sie empfiehlt den Mitgliedsländern Massnahmen, um das Ökosystem Bodensee in einem guten Zustand zu halten. Auch diese Berichterstattung basiert auf einer Publikation der IBKF und der IGKB.
Die original Publikationen (Broschüre und Video) findest Du hier.
Bureau
Très intéressant ????????