Konto 5620
17 | 12 | 2018 DiversesText: Steff Aellig | Illustrationen: Patrick Stieger 04206
17 | 12 | 2018 Diverses
Text: Steff Aellig | Illustrationen: Patrick Stieger 0 4206

Konto 5620

Wenn ich mich weiter gesperrt hätte, wärs vermutlich zur Scheidung gekommen. Aber ganz fair ist die Sache nicht gelaufen, jedenfalls zum Schluss nicht. «Wieviel Geld geht eigentlich pro Monat für euer Fischermaterial weg?» Fischers Frau stellt diese Frage nicht zum ersten Mal. Ich sitze am Computer und erledige die Zahlungen in meinem Buchhaltungsprogramm. «Was sagst du, Schatz?» Auch ich, ganz beiläufig, vielleicht etwas zu abwesend. «Du hast mich schon verstanden», meint Fischers Frau. Jetzt überhöre ich die feine Schärfe in ihrem Ton nicht mehr. «Lass mich zuerst die Zahlungen erledigen, dann stelle ich es dir zusammen, ok?»

Ein paar Jahre – ja, Du liest richtig: Jahre – komme ich mit diesem Ablenkungsmanöver recht gut durch. Aber Fischers Frau bleibt hartnäckig. Je länger ich sie hinhalte, desto perfider werden ihre Attacken. Den einen Abend vergesse ich nicht mehr. Wir sitzen bei Freunden zum Znacht und plaudern – bei köstlichem Essen und schon ziemlich Wein – über dies und das. «Wieviele Fischerruten habt ihr eigentlich zuhause?», fragt Gastgeberin Mona unvermittelt. Ich schrecke auf; war gedanklich schon beim morgigen Angeltag. Wer hat denn jetzt das Gesprächsthema aufs Fischen gelenkt?

«Mmmh, da kommen schon einige zusammen …», gebe ich zur Antwort und versuche den Gefahrenbereich so unauffällig wie möglich zu umschleichen. «Dario, wo kommt dieser edle Wein eigentlich her?» Netter Versuch. «Einige?!», hakt Fischers Frau sofort ein. Wie wenn sie auf ihren Einsatz gewartet hätte, «du solltest mal unseren Keller sehen. Da hängt die ganze Decke voller Ruten. Und du willst nicht wissen, was so eine kostet!» Ich spüre augenblicklich, wie das Eis, auf dem ich stehe, ganz dünn wird. «Doch, das nimmt mich jetzt wunder», meint Mona, und lächelt mir aufmunternd zu. So heimtückisch, ein echtes Schmierentheater. Ich bin mir sicher: Die haben das abgesprochen. Jetzt kommt Fischers Frau in Fahrt: «Seit Jaaaahren bitte ich dich drum, die Ausgaben für dein Hobby offenzulegen. Und immer wieder vertröstest du mich. Jetzt ist Schluss!» 

Der Krach auf dem Heimweg ist wüst. Ich gehe nicht ins Detail. Klar ist: Das gibt kein Happy End – in dieser Nacht nicht, und auch nicht am nächsten Morgen: Statt auf den See zu fahren wie fast jeden Sonntag, schmeisse ich den Computer an und öffne das Buchhaltungsprogramm, Konto 5620 «Material und Ausrüstung Freizeit». Ein klassisches Mischkonto. Da kommen auch die Kletterfinken und der Reithelm von Fischers Töchter rein. In der Hoffnung, die Ausgaben für unser «Fishing Tackle» etwas zu kaschieren. Mit dem Nachteil, dass es mich jetzt fast den ganzen Morgen kostet, die Zahlen zu bereinigen.

Als ich den Zusammenzug vor mir habe, wird mir fast schwarz vor den Augen. Ich rechne nochmals nach. Jetzt wird mir klar, wie recht unser Verbandspräsident hat mit seiner Behauptung: «Wir Angelfischer stellen einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor dar!» Aber geben denn wirklich alle Fischer so viel Geld für ihre Angelsucht aus?

Fischers Frau blickt von ihrer Zeitung auf, als ich zu ihr auf die Terrasse trete. «Wie viel?» fragt sie nur. Ich nehme tief Luft: «Durchschnittlich 270 Franken. Jeden Monat …», stammle ich, «ich bin selber etwas erschrocken …» Sie legt die Zeitung weg, steht auf und umarmt mich. «Ich finde, das geht eigentlich noch» – ich atme innerlich auf – «ist ja für euch beide. Und das Fischen bedeutet euch wirklich viel.» Sie gibt mir – überraschend und zärtlich – einen Kuss und meint: «Transparenz ist eine ganz wichtige Sache in der Beziehung, findest du nicht auch?» Doch natürlich. Auf jeden Fall. Und mir wird schlagartig klar: Es war nicht nur buchhalterisch ein absolut richtiger Entscheid, die Ausgaben für Patente und Boot nicht im Konto 5620 zu erfassen.


Der Autor Steff Aellig ist Psychologe und arbeitet als Wissenschaftsjournalist. In seiner Kolumne schreibt er über die Abgründe seiner Angel-Sucht – und findet heraus, was ihn in seinem Alltag als Ehemann und dreifachen Familienvater alles daran hindert, diese Sucht auszuleben.

 

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