14 | 09 | 2021 | Praxis | 0 | 5826 |
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Hecht | Auf der Suche nach dem Schlüsselfaktor
Es tönt verlockend: Studiert man die Verhaltensweise des Hechts lange genug, findet man irgendwann die Formel zum Hechtfang. Doch gibt es den ultimativen Hechtköder wirklich?
Das Verhalten des Hechts ist mittlerweile ausführlich untersucht: Viele Studien geben über sein Revierverhalten, die bevorzugte Nahrung, das Wachstum und vieles mehr Aufschluss. Die Autoren des Buches «Modernes Fische Finden – Der Hecht.» (erschienen 2018) haben eine grosse Menge dieser Studien zusammengetragen und die wichtigsten Erkenntnisse in ihr Werk einfliessen lassen. Wir haben über dieses Buch bereits berichtet. In diesem Beitrag möchte ich auf das kannibalische Verhalten des Hechts näher eingehen. Dass Hechte gelegentlich Hechte fressen, dürfte den meisten von uns bekannt sein. Auch ich zähle einen Jerkbait im Hechtdekor zu meinen erfolgreichsten Hechtködern. Und es ist so: Hechte fressen einander ein Leben lang. Bereits kurz nachdem die frisch geschlüpften Hechte ihren Dottersack aufgebraucht haben, beginnen sie, kleinere Artgenossen zu attackieren und zu fressen. Damit ist auch klar: Je früher ein Hecht ablaicht, desto grösser ist die Chance, dass sein Nachwuchs nicht zum Opfer von Artgenossen wird. Wer zuerst schlüpft, hat also gewonnen.
Keine klassische Beute
Mit dem fortschreitenden Alter der Hechte ist der kleine Artgenosse aber kein klassischer Beutefisch mehr. Untersuchungen haben gezeigt, dass eigene Artgenossen kaum je mehr als 10 Prozent des Mageninhalts ausmachen. Bilden die Hechte keine Überpopulation, ist der Anteil sogar noch tiefer und bewegt sich im unteren einstelligen Prozentbereich. Bekannt ist, dass grosse Hechtweibchen direkt nach dem Ablaichen die kleineren Männchen attackieren, doch ansonsten scheint es offenbar eine seltene Ausnahme zu sein. Die bevorzugte Beute des Hechts sind nämlich Schwarmfische, und zwar – ganz pragmatisch – diejenigen, die am häufigsten vorkommen. Rotaugen, Felchen, Egli, Rotfedern stehen da, je nach Gewässer, zuoberst auf der Liste. Und dann kommt, sofern die Schwarmfische ausbleiben, alles andere: Karpfen, Schleien, Forellenartige, Wasservögel, Mäuse und eben auch eigene Artgenossen. Da bleiben also zwei Fragen im Raum. Warum sind Hechtköder trotzdem so erfolgreich? Und warum kommt Kannibalismus trotzdem selten vor?
Kannibalismus und Revier
Dass eigene Artgenossen bald nur noch einen kleinen Teil des Beutespektrums ausmachen, ist im Revierverhalten begründet. Hechte sind bereits früh Revierfische und Einzelgänger. Oft haben sie ein Versteck, von dem aus sie genau beobachten. Kommt ein Beutetier nah genug heran, entscheiden sie sich zur Attacke – sofern sie Hunger haben. Hat es genug Beutefische im Revier, muss sich der Hecht keine Mühe machen, die Futterfische zu suchen. So schwimmen sich die Hechte – sofern nicht gerade Laichzeit ist – kaum über den Weg und landen entsprechend selten im Magen eines Artgenossen. Im Versteck wächst es sich also am sichersten, dies gilt insbesondere für kleine Hechte. Und für den kleinen Hecht ist es natürlich von Vorteil, seinen Standplatz nicht gleich neben einem Meterhecht auszusuchen. So sind im (futterreichen) Freiwasser unserer Seen vor allem grössere Hechte anzutreffen, die kaum mehr Gefahr laufen, von grösseren Artgenossen attackiert zu werden. Sie können ungefährdet den Futterfisch-Schwärmen folgen, während in den Krautbänken überwiegend Exemplare unter 60 Zentimeter Länge anzutreffen sind.
Anders sieht es aus, wenn anderweitige Beute fehlt und der Bestand an Hechten zu dicht ist. Dann beginnen die grossen Hechte gezwungenermassen, ihre kleineren Artgenossen zu fressen. Dies bringt dem fressenden Hecht nebst einem vollen Magen noch einen weiteren Vorteil: Ein Konkurrent fehlt künftig, wenn es ums Futter geht.
Futterneid als Schlüsselfaktor?
In einer im Buch erwähnten Untersuchung beobachteten die Forscher, wie Hechte auf ihre Artgenossen reagierten. Es zeigte sich, dass grössere Hechte die kleineren genau beobachteten. Richtig interessant für den grösseren Hecht wird der kleinere dann, wenn er mit Beute beschäftigt ist. Hechte müssen ihre Beute oftmals im Maul drehen, um sie kopfvoran schlucken zu können. Dies kann je nach Grösse der Beute etwas dauern, und der fressende Hecht ist für diese Zeit abgelenkt. Jetzt ist der optimale Zeitpunkt für eine Attacke. Dass gehakte Hechte von (grösseren) Artgenossen attackiert werden, haben viele Fischer schon erlebt. Futterneid ist denn auch in der Tierwelt weit verbreitet; einem Artgenossen die Beute zu entreissen ist oft effizienter, als sie selbst zu erbeuten. Die Autoren des Buches folgern aus diesem Umstand, dass Futterneid ein nicht zu unterschätzender Faktor für Hechtbisse sei und gehen noch einen Schritt weiter: Die optimale Hechtbeute umfasst gemäss der Studienauswertung der Autoren eine Grösse von maximal 15% des eigenen Körpers und ist möglichst schmalrückig. Also für einen 70er-Hecht ein etwa 10 Zentimeter langes Fischchen. Diese Beute ist für den Hecht leicht zu schlucken, er ist nur kurz abgelenkt und löst so kaum Futterneid-Reflexe bei grösseren Artgenossen aus. Auch wenn ein Hecht deutlich grössere Beute zu schlucken imstande ist, geht er mit kleiner Beute offenbar das geringste Risiko ein.
Ulkiger Köder als Theorie-Winner
Verhält sich ein Hecht also nach der Theorie optimal, so müsste er einen kleineren Artgenossen, der gerade mit seiner eigenen Beute beschäftigt ist und nicht mehr als 15 Prozent der eigenen Körpergrösse ausmacht, allen anderen Nahrungsquellen vorziehen. Erstens schaltet er damit einen potenziellen Konkurrenten aus, zweitens macht er in einem Zug gleich doppelte Beute und drittens geht er damit kein Risiko ein, selbst den Futterneid noch grösserer Hechte zu wecken; perfekt! Damit scheint die Zauberformel zum besten Hechtköder gefunden: Ein Hechtimitat mit Beute, das mehr oder weniger an Ort und Stelle (direkt vor dem Standplatz des grossen Hechts) mit Zucken und Zappeln präsentiert werden kann. Die Macher des Buches haben einen solchen Köder bauen lassen, und er funktioniert dem Vernehmen nach gut. Offenbar ist der Köder aktuell vergriffen und so habe ich meinen Hecht-Jerkbait mit einem Gummifisch am Schraubgewinde aufgepeppt. Und tatsächlich lässt sich der Jerkbait bestens animieren, so dass es – zumindest von Menschenauge – aussieht, als kämpfe da ein halbstarker Hecht mit einer etwas gross geratenen Beute. Nun, nach ein paar Ausflügen ans Wasser kann ich (noch) nicht behaupten, damit den ultimativen Wunderköder gefunden zu haben. Vielleicht greift hier bereits die Fischerpsychologie ein: Sind wir von der Fängigkeit eines Köders mal überzeugt, fischen wir ihn häufiger, und je häufiger wir fischen, desto mehr fangen wir damit. Und wenn sich die Erfolge nicht gleich einstellen, wird der eigentliche Topköder in den Tiefen der Köderboxen vergessen. Auch die Buchautoren und Köderentwickler wollen keine Wunder versprechen: «Sagen wir es mal ganz direkt. Wir alle wissen, Hechte beissen auf viele Köder. ‹Futterneid› ist kein Wunderköder. Er sticht aber durch ein paar richtig tolle wissenschaftlich basierte Ansätze ein wenig hervor. Bei ‹Futterneid› geht es darum, den Hecht zusätzlich zu einem Biss zu reizen. Dafür musst Du natürlich zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle angeln. Das wird Dir ‹Futterneid› nicht abnehmen.»
Ja, wir kennen es leider alle: Selbst die überzeugendste Theorie mag der Praxis allenthalben völlig egal sein. Ich werde jedenfalls meinem um den Futterneid-Faktor aufgepeppten Hecht-Jerkbait noch weitere Chancen geben. Und wenn ich dann erst mal dran glaube ...
Das Buch «Modernes Fische Finden – Der Hecht» von Martin Jacobs, Jens Biegemeier | ISBN: 9783981847550 ist bei den Buchhandlungen bestellbar und bei verschiedenen Online-Buchhändlern im Verkauf. Weiter in der Reihe sind Bücher über den Zander und den Egli erschienen.
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