02 | 10 | 2015 | Schweiz | 0 | 6517 |
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Fischgängige Wasserwirbelkraftwerke
Eine neue Wasserkrafttechnologie könnte einen wegweisenden, ökologisch verträglichen Beitrag zur Energiewende leisten. Ein sogenanntes Wasserwirbelkraftwerk beeinträchtigt den natürlichen Gewässerhaushalt und die Fischgängigkeit eines Flusses kaum und kann gut mit anstehenden Renaturierungsprojekten kombiniert werden. «Petri-Heil» hat das Pilotprojekt bei Schöftland (AG) an der Suhre unter die Lupe genommen.
Das Dilemma ist bekannt: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 beschloss der Bundesrat, aus der Atomkraft auszusteigen und die fünf Atomkraftwerke der Schweiz auslaufen zu lassen. Der entfallende Atomstrom soll durch erneuerbare Energien, neben Wind und Sonne vor allem durch Wasserkraft, ersetzt werden. So sind unterdessen beim Bund über 800 neue Kleinkraftwerke zur Genehmigung angemeldet. Den unbestrittenen Vorzügen der Wasserkraft als erneuerbare Energie steht immer der Eingriff in das Ökosystem gegenüber. Ein traditionelles Kraftwerk an einem Fliessgewässer beeinträchtigt die natürliche Funktion und Dynamik des betroffenen Lebensraums. Wasser wird ausgeleitet und/oder angestaut, Fliessstrecken werden unterbrochen, die Abflussdynamik durch Sunk und Schwall verändert, die Fischwanderung verunmöglicht (weswegen der Lachs im Hochrhein ausgerottet wurde!), Geschiebe wird zurückgehalten und fehlt in den darunterliegenden Strecken.
Energie mit der Natur
Bis vor 40 Jahren existierten rund 7000 Flusskraftwerke in der Schweiz. Heute sind es noch etwa 1000. Die 6000 wurden aufgehoben, da man glaubte, mit Grosskraftwerken effizienter und sicherer Strom zu produzieren. Die alten stillgelegten, aber auch viele neue Standorte (bei bestehenden Flusstreppen oder Flussbegradigungen) können oder müssen renaturiert und revitalisiert werden. Dies auf Grund von gesetzlichen Vorschriften (Gewässernutzungs- und Gewässerschutzgesetz). Sie eignen sich bestens als Standorte für Wasserwirbel-Systeme.
Pilotprojekt im Kanton Aargau
Bei Schöftland im Kanton Aargau ist ein solches Kleinkraftwerk als Pilotprojekt in Betrieb. Betreiberin ist die «Genossenschaft Wasserwirbel Konzepte Schweiz» (GWWK), Gewinnerin des Prix Watt d’Or 2011 für «Flussrenaturierung mit Wasserwirbelkraftwerk», verliehen durch das Bundesamt für Energie. Sie arbeitet mit Fachhochschulen und weiteren Partnern im In- und Ausland zusammen, die laufend nach Möglichkeiten suchen um Leistung und Kosten unter Berücksichtigung der Ökologie weiter zu optimieren.
Norbert Schmid, engagiertes Vorstandsmitglied der Betreibergenossenschaft, zeigt und erläutert mir die Anlage mit Begeisterung. Gemächlich dreht der Rotor bereits seit 2009 seine Runden – und liefert Strom für etwa 25 Haushalte. Bei 20 Umdrehungen pro Minute kommen die Fische problemlos an ihm vorbei – und zwar hinauf und hinunter. Ja, sie werden quicklebendig, denn sie kommen durch den Wirbel in den Genuss einer Sauerstoffanreicherung sowie einer Wasserabkühlung.
Das Wasser wird zum Rotationsbecken geführt und durch eine zentrale Abflussöffnung in der Mitte des Beckenbodens in eine Rotationsbewegung («Wasserwirbel») versetzt. Mit Hilfe der Schwerkraft bzw. dank der Höhendifferenz wird der Rotor bewegt. Dieser treibt den Generator an, der den Naturstrom produziert und ins Netz einspeist. Das Funktionsprinzip kann bereits bei geringen Fallhöhen ab 0,7 m und einer durchschnittlichen Wassermenge von 1000 Litern pro Sekunde angewendet werden und ist für die Kleinwasserkraftnutzung gut geeignet. Es werden langsam drehende Rotoren eingesetzt, die auch für Treibgut (bis 1,5 m Länge und 20 cm Durchmesser) durchgängig sind. Die technische Ausrüstung ist einfacher als bei herkömmlichen Wasserkraftwerken. Dadurch sind auch die Erstellungs- und Unterhaltskosten wesentlich tiefer.
Die vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) für die Fliessgewässer definierten Entwicklungsziele «ausreichender Gewässerraum» und «ausreichende Wasserführung» wird durch das Projekt an der Suhre bestens erfüllt, da die Wasserführung nicht verändert wird und die gleichzeitige Renaturierung und Revitalisierung zum Projekt gehörte. Ein zentrales Ziel der Wirbelkraftwerktechnologie ist die Fischdurchlässigkeit.
Anzahl der mit PIT-Tags markierten Fische nach Arten
Art | Anzahl |
Alet | 31 |
Bachforelle | 206 |
Barbe | 68 |
Groppe | 2 |
Gründling | 4 |
Schneider | 50 |
Gesamttotal | 361 |
Aufwändiger Nachweis der Fischwanderung
Die GWWK hat bis 2014 in vier neutralen Studien bereits 12 durch den Rotorbereich wandernde Fischarten nachgewiesen. Der Fischgängigkeitsnachweis wurde ebenso im Partnerbetrieb in Deutschland erbracht, wo in der Nähe von Dresden ein weiteres Wasserwirbelkraftwerk in der Versuchsphase ist.
Das genügt dem Kanton Aargau als Nachweis der Fischdurchgängigkeit allerdings noch nicht. In einer zusätzlichen, eigenen Studie, die mindesten ein Jahr dauern soll, will der Kanton nach eigener Methodik zusammen mit der GWWK den gültigen Beweis der Fischdurchgängigkeit erbringen. Andere Kantone, wie GR, SG, TG, ZH usw., in welchen Wasserwirbelkraftwerkprojekte zusammen mit Renaturierungen möglich sind, warten vor der Erteilung ihrer Baubewilligungen das Ergebnis bzw. die Anerkennung des Kantons Aargau ab.
Mit dieser neuen, durch den Kanton Aargau vorgeschriebenen Methodik (Sender mit sog. PIT-Tags) konnte die GWWK dieses Jahr, nach erheblichen Verzögerungen, nun endlich im April 2015 beginnen. Dazu wurden die Fische im Umfeld des Wasserwirbelkraftwerks abgefischt. Durch Fachleute wurden die Fische markiert, das heisst mit Mini-Sendern (PIT-Tags) versehen und schonend zurückgesetzt. Die neue Studie soll breit abgestützt (etwa 500 markierte Fische) sein, damit die letzten Zweifel des Kantons an der Fischdurchlässigkeit beseitigt werden können. Insgesamt neun Antennen und fünf Registrierstellen oberhalb und unterhalb der Wasserwirbelkraftanlage nehmen die individuellen Signale der Fische auf. Diese senden seither täglich um Mitternacht die Ereignisse auf einen zentralen Server, wo die Resultate erfasst und ausgewertet werden.
Es wurde bereits beim ersten Abfischen im April festgestellt, dass in diesem Abschnitt der Suhre ein schöner Fischbestand mit vielen Arten und natürlich strukturierten Populationen lebt. Da gemäss Aussage des Fischereirechtbesitzers seit Jahren kein Besatz mit Bachforellen mehr getätigt wurde, stammen die zahlreich festgestellten Forellenbrütlinge aus Naturverlaichung. Es konnten an den zwei Abfischtagen im April 2015 gesamthaft 361 Fische von 6 verschiedenen Arten markiert werden, Bei einem weiteren Abfischen im 2015 sollen zusätzliche Fische markiert werden, damit die Gesamtzahl von 500 erreicht wird.
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