20 | 07 | 2022 | Schweiz | 0 | 5595 |
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Die Oberengadiner Talseen
Der St. Moritzer Hans «Housi» Schwab stellt uns die vier wichtigsten Oberengadiner Seen vor: St.-Moritzer-, Champfèrer-, Silvaplaner- und Silsersee. Nebst viel Licht gibt es auch einigen Schatten. Doch für die Unterländer lohnt sich ein Besuch bei diesen Gewässerperlen trotzdem. Selbst an einem Schneidertag wird man mit einer kaum zu übertreffenden Fischerkulisse für die Reise entlohnt.
Wie lang hesch brucht für Dini?», so ein Dialog zwischen zwei Oberengadiner Seefischern. In den 1990er-Jahren ist damit gemeint: Wie viele Morgenstunden waren nötig, um die zwanzig Saiblinge zu fangen? Im Jahr 2022 fahre ich Mitte Mai von St. Moritz bis nach Maloja hoch und zähle gerade mal fünf(!) Boote – auf allen Seen zusammen. Heute fragt man sich «Hesch hüt eine gfange?» Nun aber keine Sorge. Es geht nicht darum, dass früher alles besser war. In meinem Fischertagebuch aus den Neunzigerjahren gibt es auch einen Eintrag «sehr schlechte Fischerperiode, niemand fängt etwas …», das hat es also schon in den guten alten Zeiten gegeben. Der Start in die aktuelle Saison 2022 ist eher verhalten, obschon alle Seen auf den 1. Mai eisfrei gewesen sind. Regelmässige Fänge sind bisher nicht an der Tagesordnung. Trotzdem kursieren Meldungen und Fotos von einigen prächtigen Fischen. Der Besuch an den immer noch wunderschönen Talseen lohnt sich so oder so.
Die Oberengadiner Talseen
Laut Geologen stiessen bis vor circa 10 000 Jahren Gletscherzungen aus dem Berninamassiv bis zum heutigen Maloja vor und haben beim Rückzug die heutige Seenplatte hinterlassen. Einige Stellen der Seen sind sogar bis über 70 Meter tief. Rätsel geben einige senkrecht auf dem Seeboden stehende Baumstämme im Silsersee auf. Eine aktuelle Theorie besagt, dass die Seen zumindest teilweise durch tektonische Bewegungen zwischenzeitlich ausgelaufen sind, so dass Teile des heutigen Seebodens von Wald bewachsen wurden. Heute reihen sich die vier Seen wie eine Perlenkette auf einer Distanz von rund 16 Kilometern von Maloja bis nach St. Moritz. Dass diese Landschaft sowohl optisch wie auch fischereilich immer noch ein kleines Paradies ist, verdanken wir Vorkämpfern, die 1946 eine Turbinierung des Silsersee-Wassers mit der ersten «Schoggitaleraktion» verhindert hat. Der Verein «Pro Laj da Segl» setzt sich bis heute für die Erhaltung dieser Seenlandschaft ein. Dennoch werden die Seen heute in einem moderaten Umfang zur Energiegewinnung genutzt und die touristischen Aktivitäten prägen das Leben hier täglich. Auch während der Winterzeit finden die zugefrorenen Seen keine echte Ruhe. Kaum ist die Tragfähigkeit ausreichend, werden die Eisdecken von tausenden Menschen und von Pferden der berühmten Rennen auf dem St. Moritzersee belebt. Dass die intensive Touristensaison auch für die Energie- und Abfallentsorgung eine Herausforderung darstellt, ist klar. Erst seit kurzem stehen zudem die möglichen Auswirkungen der Fluor-Skiwachse auf die Umwelt im Fokus.
Die Fischereisaison
Seit fünf Jahren ist die Fischersaison bereits Ende Januar am Silsersee mit dem Eisfischen lanciert. Die gezielte Fischerei auf die (möglichst) grossen Namaycush ist auf dem gefrorenen See möglich. Doch diese Eisfischerei ist nicht vergleichbar mit kommerziell besetzten Bergseen. Auf die rund 600 verkauften Tagespatente werden jeweils um die 100 «Kanadier» und einige wenige Beifänge von Saiblingen und Forellen auf dem Eis gelandet. Auf der Webseite des FV Silsersee (www.silsersee.ch) sind detaillierte und ausführliche Informationen zum Eisfischen zu finden. Am 1. Mai startet die Saison für die Uferfischerei an allen vier Seen und die Bootsfischerei auf dem Silser- und St. Moritzersee. Ab dem 15. Mai darf auch auf dem Silvaplaner- und Champfèrersee vom Boot aus gefischt werden. Doch der Frühling um diese Jahreszeit ist noch sehr kalt im Vergleich zum Unterland! Meist sind die Seen erst gerade eisfrei geworden und die Fische müssen zu Saisonbeginn neu gesucht werden, da sich deren Standplätze von Jahr zu Jahr ändern. Bootsfischer stellen Anfang Mai öfter ernüchtert fest, dass der Fischereibeginn nicht besonders ergiebig ist. Bessere Fische werden oft über Grund mit dem «Bammeli» (Elritze) von Uferfischern gefangen. Zum Geniessen der erwachenden Natur und zum fast alleine fischen ist es eine gute Zeit. Ab Juni kommt die beste Beisszeit. Das Schleppen mit Konvoi-Systemen, das Hegenenfischen und auch das Fliegenfischen läuft. Ungefähr ab Mitte Juli wird es wieder anspruchsvoller. Wir teilen auf dem Höhepunkt der Sommersaison die Seenlandschaft mit zahlreichen anderen touristischen Akteuren wie Wanderern, Bikern, Surfern und weiteren. Über die ganze Saison kann mit kühlem, oft windigem Wetter gerechnet werden. Wer es gerne windstill mag, dem sei der frühe Morgen auf dem See angeraten. Gegen Mittag frischt sehr oft der berühmt-berüchtigte Malojawind auf – zur Freude der Surfer und Segler. Als Bootsfischer ist man froh, es rechtzeitig zum Bootsplatz zurückgeschafft zu haben. Zieht es richtig, ist das Zurückrudern gegen den Wind praktisch unmöglich; und Motorhilfen sind verboten ...
Die Fischarten
Im Kanton Graubünden werden grundsätzlich keine Massfische besetzt. Es kommen Brütlinge oder Sömmerlinge in den Besatz. Das heisst, es gibt hier keine «dummen» aufgefütterten Zuchtfische, die sich leicht fangen lassen. In jedem Fall fischt man in den Oberengadiner Seen auf wildgewachsene Salmoniden mit voll ausgebildeten Instinkten. Das heisst für uns Fischer: Es ist nicht immer einfach … Die Bach- und Seeforelle Salmo trutta gibt es in vielen Variationen, von welchen vermutlich ursprünglich nur der «Donautyp» in den Oberengadiner Talseen vorgekommen ist. Heute leben unterschiedlichste genetische Typen aus etlichen Regionen des Alpenraums hier. Die Durchschnittsgrösse der Forellen liegt um die 26 bis 35 Zentimeter. Der im 2001 gefangene Schweizer Rekordfisch von 113 cm und 15,6 kg stellt eine absolute Ausnahme dar. Die heute hier heimischen Seesaiblinge wurden Mitte des vorigen Jahrhunderts besetzt und vermehrten sich eine Zeitlang enorm und wurden massenhaft, aber in nicht sehr guten Grössen gefangen. Die Fangzahlen gehen nun seit mehr als 10 Jahren konstant und massiv zurück. Dafür ist der Grössendurchschnitt heute deutlich höher, darunter gelegentlich wunderschöne Fische über 50 Zentimeter. Die Namaycush wurden einst als «Regulator» für die zunehmend verbutteten Saiblingsbestände eingesetzt und haben sich nun in allen Talseen ausgebreitet. Das nicht mehr nur zur Freude aller Fischer. Die sehr schlauen Grossfische können nur von einer Handvoll Spezialisten mit viel Ausdauer genutzt werden.
Die Äsche ist vielen und vor allem älteren Fischern noch etwas suspekt. Sie gehöre doch in die Flüsse und nicht in die Seen! Das scheinen die Fahnenträgerinnen nicht zu wissen und heute leben sie in allen Talseen auf jeder Wassertiefe. Die grössten Bündner Äschen sind Seebewohner. Wer deren Laichschauspiel sehen möchte, kann sich Mitte Mai an den Ein- und Ausläufen der Seen hinstellen und die eindrücklichen Fische dort beobachten. Wenn die Seeäschen ab dem 1. Juni schliesslich befischt werden dürfen, bietet sich für Fiegenfischer eine Art «Bonefishing» an. Denn sie kurven wie das tropische Pendant in flachen sandigen Buchten umher und die Herausforderung ist es hier wie in der Karibik: Schaffe ich es, die Fliege in der Schwimmbahn des Fisches zu präsentieren? Wenn das Wasser gen Sommer wärmer wird, ziehen sie sich in tiefere Bereiche zurück, wo sie wie Felchen mit der Nymphenhegene befischt werden können. Für Karpfenartige ist das Wasser hier eigentlich zu kalt. Doch den «Bammeli» genannten Elritzen gefällt es hier sehr gut. Sie sind millionenfach vorhanden und dürfen als tote Köderfische eingesetzt werden. Seit etlichen Jahren treiben sich auch einige behäbige grosse Schwarzfedern von der Alpensüdseite an flachen und schilfbestandenen Uferstellen herum. Darüber hinaus kommen praktisch keine weiteren Cypriniden hier vor, ebenso wenig wie die im Unterland weit verbreiteten Egli und Hechte. Bemerkenswerterweise leben bisher auch keine Trüschen in den Oberengadiner Seen, obwohl dieses Habitat ihnen eigentlich gut passen würde. Regenbogenforellen werden im Bündnerland abgesehen von einzelnen Stau- und Bergseen keine besetzt.
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