11 | 05 | 2022 | Schweiz | 0 | 6522 |
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Ein Patient auf der Intensivstation oder die Kollateralschäden der Energiewende
Der Vorderrhein ist biologisch praktisch tot; das sieht man ihm nicht an, wenn man durch die Rheinschlucht raftet. Politischer Unwille, verzögerte Projekte und strukturelle Probleme bei den Verantwortlichkeiten bilden einen tödlichen Mix. Verlierer ist die Natur.
In der Dezemberausgabe 2021 des «Bündner Fischer» legt der Fischereibiologe des Amts für Jagd und Fischerei (AJF) Marcel Michel aufgrund der Entwicklung der Fangerfolge dar, wie es um den Vorderrhein und die Bäche der Surselva bestellt ist. Für die aufmerksamen Fischer und Fischerinnen sind das keine Neuigkeiten, es bestätigen sich die Eindrücke, die man vor allem am Vorderrhein in den letzten Jahren selbst gemacht hat. Dass der Vorderrhein ein Patient ist, der auf der Intensivstation liegt, ist ebenfalls keine Neuigkeit. Nur: Wen interessiert dies eigentlich, ausser einer Minderheit, die nahe genug an der Natur ist, um dies feststellen zu können? Die Rheinschlucht wird als Naturjuwel vermarktet und den wenigsten Menschen dürfte bewusst sein, dass sich unter der Wasseroberfläche eine Einöde auftut, ökologisch verarmt, biologisch klinisch tot. Was unter der Wasseroberfläche geschieht, interessiert nicht! Fische haben eben keinen Pelz; dies hat mir der viel zu früh verstorbene Freund und internationale Lachsschützer Orri Vigfússon aus Island gesagt, als wir zusammen für den Schutz der atlantischen Wildlachse kämpften. Er hat auch eindringlich geraten, nicht auf immer weitere Forschungsberichte zu warten.
Schwall-Sunk-Regime
Die Hauptursachen für den schwindenden Fischbestand im Kanton Graubünden sind bekannt. Es ist zwar löblich, dass nun bezüglich Vorderrhein eine grosse Untersuchung gestartet wird, gut eidgenössisch, mit etappiertem Vorgehen, Zwischenbericht, Synthesebericht und hoffentlich einer Begleitgruppe, der auch Fischer angehören. Solche Berichte können eine Handlungsgrundlage bilden, es braucht dann aber den politischen Willen, zu handeln und die Empfehlungen umgehend umzusetzen! Diesen Willen vermisste man während der letzten dreissig Jahre. Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit: Vor ein paar Jahren stellte man fest, dass im Valserrhein ein beträchtlicher Anteil der Forellen Gonadenveränderungen aufweisen. Was ist seitdem geschehen, was waren die politischen Konsequenzen?
Politisches Versagen beim Gewässerschutzgesetz
Ein weiteres Beispiel, das nun schon dreissig Jahre zurückliegt: Das Gewässerschutzgesetz wurde 1991 implementiert. Dreissig (sic!) Jahre danach haben immer noch unzählige Bäche ungenügende Restwassermengen und massanhaft Staustufen sind nicht oder ungenügend fischdurchgängig, von einem reduzierten Schwall-Sunk-Regime ganz zu schweigen. Gemäss dem im Jahr 2011 revidierten Gewässerschutzgesetz «werden die Kantone verpflichtet, die Beeinträchtigungen durch Schwall-Sunk zu beseitigen und notwendige Sanierungsmassnahmen zu planen». Bis 2030 sollte dies umgesetzt sein, so steht es im Zustandsbericht des Amts für Jagd und Fischerei des Kantons Graubünden: «Für die Schwall-Sunk verursachende Kraftwerksgesellschaft besteht eine Sanierungspflicht. Diese ist bis 2030 mit entsprechenden Massnahmen umzusetzen.» Es verbleiben also noch acht Jahre; wo sind die konkreten Projekte? Die Politik hat versagt. Im Kanton Graubünden stehen dem Amt für Energie und dem Amt für Jagd und Fischerei die gleichen politischen Verantwortlichen vor. Ob dies einen Einfluss auf den Vollzug der Gewässerschutzmassnahmen im Kanton Graubünden hat, wäre ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Interessenskonflikte können bei dieser Konstellation jedoch nicht im vornherein ausgeschlossen werden.
Der Europäische Strommarkt wird durch die in Deutschland massiv ausgebauten Windkraft- und Photovoltaikanlagen je nach Witterungsverhältnissen im Stundentakt oder gar Minutentakt geflutet, was dazu führt, dass bei witterungsbedingtem Strommangel in der Schweiz durch schnelles Hoch- und Runterfahren der Speicherkraftwerke rentabel Strom produziert werden kann. Da dies aber durch die Leitzentrale in Laufenburg gesamtschweizerisch koordiniert wird, turbiniert man mehr oder weniger gleichzeitig grosse Wassermengen von vielen Kraftwerken.
Als Kollateralschaden abgebucht
So wird das turbinierte Wasser zum Beispiel bei Ilanz in den Vorderrhein geleitet. Die Folge davon sind sehr kurzfristige massive Pegelschwankungen, die Kleinlebewesen, Jungfischen usw. keine Chance lassen. Es ist davon auszugehen, dass die Schwall¬Sunk-Häufigkeit in Zukunft mit dem Ausbau der sogenannt nachhaltigen Energieerzeugung noch weiter zunehmen wird. Biologisch verarmte Flüsse passen natürlich nicht ins grüne Portfolio unserer Politiker. Auf einem Auge blind, verdrängt man die Tatsache, dass viele Alpenflüsse, wie der Vorderrhein, eben gerade wegen der Energiewende biologisch praktisch tot sind. Man bucht dies als Kollateralschaden ab und lässt die Umsetzungsfristen ungerührt verstreichen. Es wird Zeit, dass sich dies ändert!
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