Der Charme der wilden Flüsse
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Der Charme der wilden Flüsse
27 | 02 | 2019 | Schweiz | 0 | 7438 |
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Nachdem in der letzten Ausgabe von «Petri-Heil» leider ein düsteres Bild über die Entwicklung des Fischbestands im Bündner Alpenrhein seit 1976 gezeichnet werden musste, gibt es in diesem Beitrag vorerst ein paar Lichtblicke.
Zumindest für eine Fischart scheint ein Silberstreifen aufzuleuchten: Der Strömer hat sich parallel zum Verschwinden der Bachforellen prächtig entwickelt. Noch vor wenigen Jahren dachte man, dass auch er bald weg sein würde. Der Grund für sein Revival ist unbekannt. Möglich, dass er im Fluss durch das weitgehende Verschwinden der Bachforelle keinen Fressfeind mehr hat und von der im selben Habitat vorkommenden Regenbogenforelle nicht unter Druck gerät. Er scheint als Allesfresser toleranter gegenüber Verschlammung der Gewässersohle und dem Schwall und Sunk zu sein. Weiter ist bemerkenswert, welche neuen Habitate er zur Reproduktion nutzt. Es sind die wenigen klaren, von Druckwasser gespeisten Hinterläufe grosser Kiesbänke. Vor wenigen Jahren noch brach gelegen, beherbergen sie heute teilweise grosse Ansammlungen von einjährigen Strömern. Sogar im angrenzenden, vom Schlamm erstickten Schwall- und Sunkbereich der Kiesbänke sind sie manchmal zu entdecken. Bei Pegelveränderungen ist ihr artspezifisches Verhalten gut zu beobachten. Sie gehen nicht wie Forelle und Groppe bei sinkendem Wasserstand in Deckung, sondern verschieben mit dem zurückgehenden Wasser ihren Aufenthaltsort. Das wichtigste Laichhabitat des Strömers scheint aber der Cosenzbach bei Untervaz zu sein. Es ist der letzte freifliessende Bach, der in den Bündner Rhein mündet. Jeweils im Frühjahr versammeln sich dort nachts Hunderte von Fischen zur Hochzeit. Nun hat der Strömer, zusammen mit der seltenen Bartgrundel und vielen abwanderungswilligen Jungforellen, eine neue Bedrohung ganz anderer Art erhalten. Im Jahr 2016/17 versperrte ein Biberdamm erstmals den Zugang zum Laichplatz. Das entstandene Umgehungsgerinne war untauglich, floss doch das Wasser wie durch ein Sieb durch das feine Geäst. Das Bauwerk wurde infolge drohender Überschwemmung zusammen mit weiteren, von übereifrigen Tierschützern erstellten künstlichen Bachsperren entfernt.
Der Biber ist am gesamten Bündner Rhein und an den Seitengewässern recht häufig und überaus aktiv. Er wurde bis hinauf auf angrenzenden Maisfeldern und in isolierten Biotopen fernab des Rheins beobachtet. Ab und zu kommt es zu Konflikten mit dem Menschen. In unberührter Landschaft ist er ein willkommener Landschaftsarchitekt. Er schafft wertvolle Lebensräume, die oft auch den Fischen entgegenkommen.
In der von Menschenhand zurechtgebogenen und ziemlich kaputten Landschaft wird er aber manchmal auch zum Problem, indem sein Treiben zu verstopften Bachunterführungen von Autobahnen und überschwemmten Kulturflächen führt. Im Cosenzbach leiden unter seiner Bautätigkeit teils vom Aussterben bedrohte Fischarten. Seinen eigentlichen Wohnbau hat er weit entfernt zuunterst im Schutzgebiet Friewis angelegt. Von dort aus geht er während der Dunkelheit auf seine Futterplätze. Dem Biber geht es zwischen Landquart und der Staustufe Domat Ems sehr gut. Allgegenwärtige Anhaltspunkte weisen darauf hin, dass er zahlreich präsent zu sein scheint. Fischer berichten von Sichtungen zutraulicher Biber, die tagsüber wenig Scheu zeigen und unter Felsvorsprüngen in Höhlen hausen.
Der Lebensraum der Regenbogenforelle im Rhein unterscheidet sich grundsätzlich von jenem der Bachforelle. Die Bachforelle steht entweder direkt im Bereich markanter Strukturen wie grosser Steine oder Steinschüttungen oder dann sporadisch in tiefen Gumpen mit naher Versteckmöglichkeit. Der Regenbögler dagegen steht meist in der harten Strömung ohne Deckung, bei kühlen Temperaturen manchmal auch sehr flach über Kiesbänke. Oft gilt, je monotoner und strukturschwächer der Flusslauf, desto häufiger die Regenbogenforelle – je rauer das Wasser, desto seltener ist sie. Dies ist auch der Grund, wieso sie im St. Galler Rhein und im ausgeweiteten Flusslauf mit viel Todeszonen häufiger anzutreffen ist. Sie leidet ebenfalls unter den miesen Bedingungen, ist aber als Wanderfisch imstande, in kurzer Zeit grosse Distanzen zu überwinden, um geeignete Lebensräume aufzusuchen. Dauernde Bewohner des Bündner Abschnitts sind mutmasslich nur Jungfische bis rund 25 Zentimeter. Grössere Fische scheinen aufgrund der variablen CPUE (Fangmenge pro Einheit) erfahrener Rheinfischer den Oberlauf nur sporadisch aufzusuchen. Möglich, dass sie jeweils neue Nahrungsvorkommen suchen. Da die Regenbogenforelle als Opportunistin viel flexibler als die Salmo trutta ist, wundert es kaum, dass sie zuweilen ein ungewohntes Fressverhalten hat. So hat man in den letzten Jahren in Mägen von Regenböglern, je nach Aufenthaltsort, lediglich Algen mit sehr wenig oder sogar gar keinen Beilagen wie z.?B. Insektenlarven gefunden. Die Regenbogenforelle frisst im Gegensatz zur Bachforelle jegliche verwertbare Nahrung wie etwa Weizenkörner, welche einen hohen Stärkegehalt aufweisen. Die Gesamtpopulation ist tief und über weite Bereiche inexistent. In gewissen Abschnitten ist sie lediglich als Jungfisch zahlreicher vorhanden. Trotzdem macht sie den Hauptanteil der spärlich gefangenen Fische aus. Im Gegensatz zu den kaum noch existenten Bachforellen kommt sie zeitweise gerade noch knapp klar mit den katastrophalen Umständen am Rhein.
Es muss schon ein grosser Zufall gewesen sein, als mutmasslich vor rund 30 Jahren am richtigen Ort und zur rechten Zeit die passende Genetik zusammentraf, damit sich die Regenbogenforelle auf natürliche Weise fortpflanzen konnte. Bis ins Jahr 1987 wurden im Rhein fast ausnahmslos Bachforellen gefangen. Ab dem Jahr 1988, nach dem verheerenden Hochwasser, wurden während weniger Jahre auffällig blanke Regenbogenforellen, mit ausgeprägtem Trieb zum Abwandern, in grossen Mengen als Jungfische besetzt. Mittlerweile ist klar, betrachtet man ihr Aussehen und das Wanderverhalten, dass sie der echten Steelhead der kanadischen Westküste sehr nahesteht. Im Gebiet Friewis bei Untervaz, wo früher die Nasen lebten, wurden in den frühen 1990er-Jahre die ersten jungen Regenbogenforellen gesichtet. Damals vereinigten sich, nach grossflächiger Auflandung, für wenige Jahre der Cosenzbach mit der subthermalen Quelle zu einem gemeinsamen winterwarmen Seitenlauf des Rheins.
Bis heute hat sich die Regenbogenforelle trotz wiederholter massiver Erosion und Habitatswandel behaupten können. Die Laichaktivität erstreckt sich von Ende Dezember bis Mitte Februar, einzelne Nachzügler, immer kleine Exemplare, laichen erst im März. Führt das Laichhabitat zuviel eiskaltes Rheinwasser, verschieben sie ihre Aktivität ins lebensfeindliche Quellgebiet der subthermalen Quelle. Durch ihre evolutionäre Anpassung avancierte die Regenbogenforelle zur Retterin der in Not geratenen Fischerei. Aufgrund der langanhaltenden Trübung des Rheins strebte der Fischereiverein Chur eine frühere Saisoneröffnung an. Leider kamen dabei die laichenden Fische unter massiven Druck. Heerscharen von wenig sachkundigen Fischern machten im Kerngebiet der Reproduktion Jagd auf die laichbereiten Fische. So war für einige nachhaltig denkende Fischer klar, dass dieser besonders schützenswerte Lebensraume gesperrt werden musste. Dies auch zum Schutz weiterer Fischarten, welche dort ihr letztes Rückzugsgebiet besitzen. Heute steht das ganze Gebiet beidseits des Flusses unter Schutz. Als Nebeneffekt des Schutzes der aufkommenden Jungfische findet der Eisvogel dort nun auch im Winter Nahrung vor.
Die Zukunft am Rhein sieht dennoch düster aus. Wie geht es weiter mit der völlig rücksichtslosen Strompolitik? Und wird die Gesetzgebung endlich umgesetzt? Kann es wirklich so weitergehen, dass Wasserkraftwerke ohne jegliche Konsequenzen Tierarten einfach so aussterben lassen dürfen?
Im heutigen Zustand haben wir zumindest die Regenbogenforelle als fangbaren Fisch und u. a. mit Strömer und Groppe Fischarten, die es mit aller Kraft zu erhalten gilt. Verschwindet jedoch auch noch die Alpenrhein-Steelhead, wird die Fischerei zum Erliegen kommen und der Rhein verliert seine wichtigste Lobby, denn die Fischer fördern bedrohte einheimische Fische und revitalisieren Gewässer ein gutes Beispiel für das Engagement der Fischer ist die Förderung der beiden einheimischen Formen der Bachforelle. Um als verletzlicher Jungfisch in diesem schwierigen Fluss besser zurechtzukommen, werden insbesondere vom Fischereiverein Chur eine grosse Anzahl Vorsömmerlinge zu schwimmstarken Fischen aufgezogen und danach, noch vor der abschliessenden Domestizierung, in den Rhein entlassen. Zum einen wird die ortstreue Bachforelle besetzt und zum anderen, rein zur Arterhaltung, die Bodenseeforelle. Die Aufzucht erfolgt unter möglichst naturnahen Bedingungen mit einem wichtigen Anteil an Naturnahrung. Insbesondere bei der intensiven Förderung der Seeforelle, welche in Graubünden kaum je gefangen wird, steht die Arterhaltung und nicht der Fang im Vordergrund. Weiter gibt es Bestrebungen, den bedrohten Strömer mit Öffentlichkeitsarbeit und Gewässerschutz aktiv zu fördern. Zudem steht sein wichtigstes Laichgebiet unter ständiger Beobachtung. Störende Eingriffe und drohende Trockenheit werden so zeitnah erkannt und Gegenmassnahmen eingeleitet.
Der erste Teil dieses Artikels erschien in der «Petri-Heil» Februar-Ausgabe 2019.
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