Unsere Gewässer brauchen mehr Raum
21 | 08 | 2012 SchweizText: Daniel Luther 03454
21 | 08 | 2012 Schweiz
Text: Daniel Luther 0 3454

Unsere Gewässer brauchen mehr Raum

Gewässerraum wird zu einem der entscheidenden Begriffe im Schweizer Gewässerschutz der nächsten Jahre. Wir machen Sie mit fachlicher Unterstützung des Bundesamts für Umwelt fit für wichtige Diskussionen.

Die Abteilung Wasser des Bundesamts für Umwelt (BAFU) und ihr Chefbeamter Stephan Müller stehen zur Zeit politisch im Fokus.

Jetzt, wo die «Zumutungen» des neuen Gewässerschutzgesetzes spürbar werden, weil sie umgesetzt oder zumindest geplant werden müssen, regt sich heftiger Widerstand.

Nicht nur die üblichen Blockierer werden laut, auch kantonale Magistraten begehren auf und versuchen die Vorgaben des neuen Gewässerschutzgesetzes in Frage zu stellen und aufzuweichen, bevor sie wirksam werden («Petri-Heil» berichtete). Stephan Müller reagierte erfreulich schnell auf die politischen Druckversuche. Er suchte das Gespräch mit den Kantonsbehörden, holte die Kritiker an einen Tisch, skizzierte den Weg, der vor ihnen liegt und ortete die wunden Punkte.

Als gedankliche Leitplanke veröffentlichte das BAFU das Faktenblatt «Gewässerraum und Landwirtschaft», aus dem wir hier die wichtigsten Passagen weitergeben. Es liefert präzis formulierte Argumente, die jedem engagierten Gewässerschützer geläufig sein sollten.


Die Ausgangslage

Das BAFU sieht die Situation folgendermassen: «Natürliche Fliessgewässer gestalten Landschaften und sind wichtige Lebensräume und Ausbreitungskorridore für Pflanzen und Tiere. Sie transportieren Wasser und Geschiebe, tragen zur Grundwasserbildung bei und können Hochwassersituationen entschärfen.

Diese dynamischen Prozesse finden nicht nur im Flussbett, sondern im ganzen Gewässerraum (GR) statt. Durch die Einengung und Begradigung vieler Gewässer hat das Überschwemmungsrisiko zugenommen und artenreiche Biotope sind zerstört worden. Zudem werden die Gewässer durch die intensive Siedlungstätigkeit und landwirtschaftliche Nutzung beeinträchtigt.

Ende 2009 hat das Parlament Änderungen des Gewässerschutzgesetzes beschlossen, die naturnähere Gewässer zum Ziel haben. 2011 traten die entsprechenden Änderungen von Gesetz und Gewässerschutzverordnung in Kraft. Sie stellen einen Kompromiss zur Volksinitiative ‹Lebendiges Wasser› dar. Während die Initiative beispielsweise die Revitalisierung aller Gewässer in schlechtem Zustand vorsah, sollen mit den neuen Bestimmungen rund ein Viertel der Gewässer in schlechtem Zustand revitalisiert werden. Als Kompromiss soll aber der GR entlang aller Gewässer festgelegt werden.»


Was ist Gewässerraum?

Die Gewässerschutzverordnung verwendet zur Bestimmung der Breite des erforderlichen Gewässerraums die Schlüsselkurve aus dem BAFU-Leitbild «Fliessgewässer Schweiz» von 2003. In ihrem aktuellen Faktenblatt liefert das BAFU eine verständliche Definition:

«Der GR stellt einen Korridor dar, wobei das Gerinne nicht in der Mitte liegen muss. Zur Verhinderung von unerwünschten Einträgen (z.N. Gülle, Dünger, Pflanzenschutzmittel) soll bei kleinen Gewässern der GR in der Regel auf beiden Seiten gleich breit sein. In bestimmten Fällen (z. B. Schutz vor Hochwasser, Revitalisierung, bestimmte Schutzziele) muss er erweitert werden. Bei Gewässern, deren Sohlenbreite mehr als 15 Meter beträgt, muss im Einzelfall entschieden werden.

Für kanalisierte Gewässer muss zunächst die natürliche Sohlenbreite ermittelt werden, welche die Basis für die Berechnung bildet. Falls keine überwiegenden Interessen entgegenstehen, kann in bestimmten Gebieten (z. B. Wald) oder bei künstlich angelegten Gewässern auf die Festlegung des GR verzichtet werden. Bei der Festlegung des GR als Korridor (keine fixen Abstände zum Gewässer!) steht den Kantonen ein Vollzugsspielraum zur Verfügung, um den erforderlichen Raum den lokalen Verhältnissen anzupassen.»


Wie verändert sich die Nutzung?

Der Gewässerraum (GR) kann landwirtschaftlich genutzt werden, sofern die Nutzung den Anforderungen der Direktzahlungsverordnung für ökologische Ausgleichsflächen (Streufläche, Hecke, Feld- und Ufergehölz, extensiv genutzte Wiese oder Weide) entspricht. Es gelten dieselben Einschränkungen wie beispielsweise das Verbot von Bodenumbruch und vorgegebene Schnittzeitpunkte.

GR darf nicht mehr als Fruchtfolgefläche (FFF) bewirtschaftet werden. FFF im Gewässerraum, die weiterhin die entsprechende Qualität aufweisen, können dem kantonalen Kontingent als Potential angerechnet werden. Durch die Zuteilung oder Umzonung von Ersatzflächen muss nur der effektive Flächenverlust zum Beispiel durch Renaturierung, Erosion kompensiert werden.

Im GR dürfen mit ganz wenigen Ausnahmen weder Dünger noch Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Bereits heute gilt auf einem drei Meter-Streifen ein Düngeverbot. Darum verändert das neue Gewässerschutzgesetz die bisherige Bewirtschaftung entlang kleinerer Gewässern kaum.

Mit der neuen Regelung werden vorwiegend entlang der grösseren Fliessgewässer maximal 20 000 Hektar Landwirtschaftsland zusätzlich extensiviert.


Die Konflikte

Der GR muss von den Kantonen bis spätestens Ende 2018 verbindlich definiert werden. Bis dieser Schritt gemacht ist, gelten Übergangsbestimmungen, die den Raum entlang der Gewässer breiter als nach der Schlüsselkurve und mit fixen Abständen definieren. Diese gelten aber nur für die bauliche Nutzung. Dieses faktische Bau-Moratorium in Gewässernähe hat wie «Petri-Heil»-Leser wissen, bereits für Aufregung und Widerstand in gewissen Kantonen gesorgt.

Das BAFU nimmt diese Konflikte ernst und schreibt zum künftigen Vorgehen:

«Für eine mittelfristige Harmonisierung der Bewirtschaftungsvorschriften gemäss Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung, Direktzahlungsverordnung und Gewässer-schutzverordnung entlang der Gewässer wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Allfällige Verordnungsänderungen sollen im Paket der Verordnungsänderungen zur Agrarpolitik 2014-2017 gemacht werden.

Rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss nutzbare Anlagen (z. B. Bauten, Verkehrswege, Pumpwerke, Drainagen) im Gewässerraum sind in ihrem Bestand grundsätzlich geschützt. Neue Anlagen dürfen grundsätzlich nur erstellt werden, wenn sie standortgebunden sind und im öffentlichen Interesse liegen (z. B. Fuss- und Wanderwege, Brücken, Kraftwerke, Pumpwerke).»


Achtung, Kompromisse
!

Das BAFU und insbesondere Stephan Müllers Abteilung investiert viel Zeit für «Workshops» mit der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz, dem Bundesamt für Landwirtschaft, dem Bundesamt für Raumentwicklung und den kantonalen Fachstellen. Dabei wird der praktische Vollzug der neuen Vorgaben «verhandelt». Manche Immobilien- und Agrar-Lobbyisten wittern dabei beunruhigend viel Spielraum.

Obwohl die ersten «Workshops» im Mai viele Vorurteile von Skeptikern auf Gewässerschützer-Seite beseitigen konnten, fordert die Landwirtschaftsfraktion weiterhin «Präzisierungen», die die ursprünglich vorgesehene Lösung bei der Festlegung des Gewässerraums verwässern würden.

Nur mit Wachsamkeit und flächendeckendem Druck aller Verbände werden wir weitere entscheidende Abschwächungen unserer ursprünglichen Gewässerschutzziele verhindern können. Dazu gehört, dass möglichst viele Petrijünger sattelfest und wehrhaft werden bei den Themen Gewässerraum und Nutzung. Es lohnt sich!

 

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