Streetfishing in Norwegen
30 | 03 | 2020 ReisenText & Fotos: Robin Hrovatic 06097
30 | 03 | 2020 Reisen
Text & Fotos: Robin Hrovatic 0 6097

Streetfishing in Norwegen

Ein Augenschein am Hafen von Bodö

Norwegen gilt vor allem wegen seiner fantastischen Fjorde und atemberaubend schönen Salmonidengewässer als Land der Fischersehnsüchte. Es gibt aber auch eine andere Seite Norwegens: Die urbanen Hafenanlagen mit Mega-Frachtern und dreimastigen Segelschiffen, die die Weltmeere befahren. Nimmt man noch die Seebären, Schwerenöter und schummrigen Gestalten dazu, ergibt sich eine Fischerkulisse der besonderen Art.


Ich bin Ende April vier Tage lang nur im Hafengebiet von Bodö fischend unterwegs und will herausfinden, was für illustre Gestalten sich unter, aber auch oberhalb des Wasserspiegels um die riesigen Schiffe tummeln. Der «Bodö havn» wird gesäumt von einer schmalen Landzunge, die auf der äusseren Seite den unteren Teil des «Nyholmsundet» bildet. Bei Ebbe beginne ich die erste Erkundungstour – tausende kleine Seelachse finden Schutz zwischen imposanten Frachtern, deren Taue dicker sind als meine Oberschenkel. Für Köder­fische sollte also schon mal gesorgt sein. Die brauche ich mitunter auch, wenn ich meinem Traum vom ersten Heilbutt näherkommen möchte.

 
Besuch von Partygängern

Nachdem ich einen ersten Standplatz zwischen zwei Frachtschiffen gefunden habe, fahre ich von Anfang an eine zweigleisige Strategie mit bewährten Mitteln: Mit der einen Rute biete ich fingerlange Tintenfisch-Fetzen am grossen Zapfen vor dem Bug eines Schiffs kurz über Grund an. Mit der anderen werfe ich den grossen Käfer-Löffel, den ich mit 12 cm grossen Gummis bestücke, weit ins Hafenbecken rein und leiere ihn, nachdem ich ihn an gespannter Schnur bis zum Grund absacken lasse, langsam zu mir durch alle Wasserschichten. Es ist Samstagabend und was ich nicht weiss: Gleich um die Ecke ist ein Club, in welchem sich am Wochenende die Jugend Bodös trifft, um Party zu machen. Und so kommt es, wie es kommen musste. Noch bevor die ersten Fische sich für meine Köder interessieren, stehen drei etwa zwanzigjährige Jungs neben mir, die wohl schon mehr als ein Bier getrunken haben, und deuten mir auf Norwegisch, dass auch sie Fischer seien und mal werfen möchten.

Ich will mal nicht so sein und lasse sie gewähren, bis beim fünften Wurf der 4/0er-Haken so knapp am Kopf eines Kollegen vorbeifliegt, dass ich es nicht mehr verantworten kann und die Rute wieder an mich nehme. Trotz Dusel bedanken sie sich aber erstaunlich höflich und geben mir noch zu verstehen, wie cool das sei, hier so allein im Dunkeln an der Kaimauer zu fischen. Recht haben sie, denke ich mir, und mache mit meinen Ruten geschäftig weiter. Kurz darauf folgt der erste Biss. Der Zapfen wird zuerst nur zweimal angetippt, bevor er schliesslich ganz verschwindet. Nach frühem Anschlag und kurzem Drill zeigt sich mir ein hübscher 60er-Dorsch, der meine Anspannung löst und mir ein breites Lächeln aufs Gesicht zaubert. Endlich, der erste Fisch des Trips. 

 
Dreckiger Hafen, sauberer Sund?

Am Folgetag will ich mich nicht mit Bewährtem auf Fische mittlerer Grösse zufrieden geben, sondern mich mit massigeren Ködern auf grössere Beute konzentrieren. Noch bei Ebbe begebe ich mich per Taxi auf die äussere Seite des Hafens an den Nyholmsundet. Auf der Fahrt probiere ich, dem Taxifahrer etwas «local knowledge» zu entlocken und erfahre von ihm, dass auf der inneren Seite des Hafens fast nur Touristen und Zugereiste fischten, während dies die Alteingesessenen fast nur auf der äus­seren Seite täten, weil die Wasserqualität dort besser und die Fische grös­ser seien. Um meinen Fisch vom Vorabend nicht zu schmälern, halte ich dagegen, dass das Wasser von den Gezeiten ja zweimal täglich fast komplett ausgetauscht werde, wodurch die Wasserqualität kaum viel schlechter sein könne als zwei Kilometer weiter draussen. Er runzelt darauf nur ungläubig die Stirn. 

Am Sund angekommen fange ich mir zuerst meine Köfis auf einem Sabiki-Rig mit kleinen Flasher-Vorfächern. Obwohl die kleinen Seelachse zu hunderten der Uferlinie entlang patrouillieren, braucht es ein paar Würfe mehr als gedacht, bevor ich meinen ersten toten Köderfisch am Zapfen präsentieren kann. Als Ergänzung fische ich an der groben Spinnrute 22 cm lange Gummifische in Form von Sandaal-Imitationen mit Paddelschwanz in Pink und Chartreuse. Mit diesen Ködern dauert es dann nicht lange, bis ein heftiger Einschlag erfolgt. Auch dieser Fisch entpuppt sich als mittlerer Dorsch von gut 60 cm Länge. Das eigentlich Erstaunliche ist hingegen, wie einfach sich ein Dorsch dieser Grösse einen derart langen Gummi einverleiben kann. Als ich den Fisch fürs Abendessen ausnehme, stelle ich fest, dass er tatsächlich einen frischeren Geruch verströmt als derjenige vom Vorabend auf der inneren Seite des Hafens. Sollte der Taxi­fahrer am Ende doch Recht behalten?

 Es erstaunt jedes Mal aufs Neue, mit welcher Leichtigkeit auch mittlere Dorsche auf Gummis über 20 cm beissen.

Es erstaunt jedes Mal aufs Neue, mit welcher Leichtigkeit auch mittlere Dorsche auf Gummis über 20 cm beissen.

 Kurios zum Ersten: Einen Heilbutt brachte der Köfi zwar nicht, dafür aber den eigenartigsten «Fisch» meines Lebens.

Kurios zum Ersten: Einen Heilbutt brachte der Köfi zwar nicht, dafür aber den eigenartigsten «Fisch» meines Lebens.

 Kurios zum Zweiten: Der grösste Fisch des Trips wurde ausgerechnet mit dem kleinsten aller verwendeten Köder gefangen.

Kurios zum Zweiten: Der grösste Fisch des Trips wurde ausgerechnet mit dem kleinsten aller verwendeten Köder gefangen.

 Von diesem Trip habe ich lange geträumt: 4 Tage lang ausschliesslich an einem grossen Nordmeerhafen fischen, umringt von Seemöven, Seebären und ...

Von diesem Trip habe ich lange geträumt: 4 Tage lang ausschliesslich an einem grossen Nordmeerhafen fischen, umringt von Seemöven, Seebären und ...


«Sternbutt» statt Heilbutt

Für die zweite Hälfte des Trips bleibe ich bei meiner bewährten Strategie: «Deadbaiting» am Zapfen oder am Grund auf der einen und grosse Gummis auf der anderen Rute. Es sind immer wieder die Dorsche bis maximal 70 cm, die beim Spinnfischen überlistet werden können, während die Köfis zu meiner Überraschung keinen Anklang finden. Bis am letzten Tag endlich der Zapfen gegen Abend untertaucht, aber nicht wirklich abzieht. Anschlagen oder warten? Die Heilbuttspezialisten raten eher zum Warten und ich tue es ihnen gleich, was diesmal leider der falsche Entscheid ist. Der Zapfen taucht nach 10 Sekunden wieder auf und ich wünschte, ich hätte mich fürs schnelle Anschlagen entschieden. Am Ende kann ich doch noch einen Meeresbewohner mit dem Köderfisch vom Grund ans Tageslicht befördern. Allerdings ist der «Fisch» an Kuriosität kaum zu überbieten – ein Seestern, der den Köfi partout nicht loslassen will und bald wieder in die Freiheit entlassen wird.

 
Eigensinn vor lokalem Wissen

Am dritten Tag fische ich an der Spitze der Landzunge in Richtung Nyholmsundet. Nachdem die kleinen Seelachse dort nicht beissen wollen, wechsle ich auf die innere Hafenseite ganz in der Nähe, wo sich gerade mehr Fische in Sichtweite tummeln. Ich ziehe die 5 cm langen Flasher sachte durch einen Schwarm kleiner Köhler, als sich auf einmal, wie aus dem Nichts, ein 80er-Seelachs wie ein Torpedo einen Flasher schnappt und die Rolle sofort in die Bremse zwingt. Das 30er-Mono kann dem Druck glücklicherweise standhalten und so kann ich den prächtigen Köhler bald in den Spundwandkescher manövrieren. Dass ich den somit grössten Fisch des Trips ausgerechnet mit dem kleinsten verwendeten Köder fange, will irgendwie nicht so recht zu mir passen, auch wenn ich das Geschenk natürlich dankend annehme. Der Fisch strotzt mit seinen gut 5 Kilogramm nur so von Fitness. Auch beim Ausnehmen hinterlässt er in Punkto Geruch keine Zweifel. Moment mal. Warum roch der Dorsch, der auf der Hafeninnenseite gefangen wurde, etwas nach Streetfishing, während dies beim Seelachs, der auf derselben Hafenseite gefangen wurde, nicht der Fall war? Ein Blick in die Fachliteratur bestätigt meine Vermutung: Während Dorsche teils resident leben und damit vom Wasser, dass sie unmittelbar umgibt, stärker geprägt sind, muss das bei den Seelachsen überhaupt nicht der Fall sein. Sie ziehen nämlich stets der Strömung und ihrer Beute nach, sodass ein Seelachs, der jetzt gerade noch vor dem Ufer seine Kreise zieht, in ein paar Stunden ganz wo anders sein kann. Ich notiere mir deshalb: «Local knowledge» geht zwar grundsätzlich vor, aber manchmal muss man einfach seine eigenen Ideen umsetzen, auch wenn sie von einem Süsswassermatrosen stammen.

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