Zuwenig Insekten für die Fische?
04 | 12 | 2017 Schweiz | PraxisText & Fotos: Erich Bolli 010739
04 | 12 | 2017 Schweiz | Praxis
Text & Fotos: Erich Bolli 0 10739

Zuwenig Insekten für die Fische?

Fischer, die gerne mit der Trockenfliege fischen, stellen seit Jahren eine zunehmende Steigfaulheit bei den Forellen und Äschen in den Flüssen des Schweizer Mittellands fest. Was wir längst vermuteten, wird nun durch eine neue Studie bestätigt: Es gibt bis zu 80 Prozent weniger Insekten als noch in den 1980er-Jahren! Ein Zusammenhang liegt nahe.


Ich erinnere mich noch gut: Ein Sommerabend in den 1960er-Jahren, Ferien im Zelt am Rhein bei Diessenhofen, beim Eindunkeln riesige Schwärme von Abendfliegen über dem Wasser – und die Forellen steigen und steigen, schiessen manchmal ganz aus dem Wasser, auch grosse Kaliber jenseits der 50 cm, platschen herum wie die Kinder nachmittags beim Baden. Das selbe grandiose Spektakel Abend für Abend.
Heute kann man an den Flüssen des Mittellands kaum mehr einen richtigen Abendsprung beobachten. Fischerkollegen von Sitter, Murg, Thur, Wutach, Emme, Aare, Doubs, Birs und Rhein bestätigen dies: Die Fische wollen nicht mehr steigen.  
Die fischereiliche Situation scheint sich massiv verändert zu haben.


Warum steigen die Fische nicht mehr?

In Fischerkreisen werden vor allem zwei Theorien diskutiert. Bei der ersten Theorie wird auf die Fischereistatistiken der Kantone verwiesen, die eine stetig abnehmende Bestandeszahl bei den Salmoniden belegen. Es gibt offensichtlich deutlich weniger Forellen und Äschen in den Mittellandflüssen als in den 1970er-Jahren und davor. Damit entfällt für die Fische der Konkurrenzdruck beim Fressen weitgehend. Die relativ wenigen Fische finden praktisch konkurrenzlos genügend Insektennahrung am Boden und stellen das für sie aufwändige Aufsteigen zur Erhaschung der Oberflächennahrung ein.
Die zweite Theorie geht von Beobachtungen aus, die darauf hinweisen, dass sich die Insektenfauna verändert hat und es an der Oberfläche gar nicht mehr so viel zu holen gibt! Das Insektenangebot ist zu dürftig geworden, möglicherweise kommen auch gewisse Insektenarten gar nicht mehr vor und das «Lieblingsmenü» der Fische ist nicht mehr vorhanden. Also lohnt sich das Aufsteigen gar nicht mehr, die Fische bleiben unten und versuchen sich dort irgendwie durchzuschlagen.
Für die Fliegenfischer an den Mittellandflüssen bedeutet das so oder so den weitgehenden Verzicht auf das einst attraktive Fischen mit der Trockenfliege. Sie greifen gezwungenermassen zur Nymphe, die zum Teil recht massiv beschwert wird, und versuchen mit der Nymphentechnik auf den Gewässergrund zu kommen, wo die Fische auf die Fliegenlarven Jagd machen.


Weniger Insekten

Mein Fischerfreund Fredy erinnert sich, dass er früher abends bei der Fahrt mit dem Auto von Eschenz nach Schaffhausen (20 km) nach zehn Kilometern nichts mehr sah und in Diessenhofen anhalten musste, um die Frontscheibe vom Fliegenteppich zu säubern. Davon heute keine Spur mehr. Viele von uns wissen von ähnlichen persönlichen Wahrnehmungen zu berichten. Vieles spricht dafür, dass die zweite Theorie richtig ist: In der Insektenwelt hat sich einiges verändert!

 Wir Fischer beobachten es schon länger: Die Salmoniden in den Mittellandflüssen steigen kaum mehr nach Insekten.

Wir Fischer beobachten es schon länger: Die Salmoniden in den Mittellandflüssen steigen kaum mehr nach Insekten.

 Bei uns ist die Maifliege ein seltener Gast geworden.

Bei uns ist die Maifliege ein seltener Gast geworden.

 Bei uns ist die Maifliege ein seltener Gast geworden.

Bei uns ist die Maifliege ein seltener Gast geworden.

 Wenn die Forellen an der Birs nicht steigen wollen, fischt auch Felix Huber mit der Nymphe.

Wenn die Forellen an der Birs nicht steigen wollen, fischt auch Felix Huber mit der Nymphe.

 Nymphenbox

Nymphenbox

 Der Griff in die Nymphenbox hat sich gelohnt.

Der Griff in die Nymphenbox hat sich gelohnt.


80 Prozent sind weg!

Es ist viel drastischer, als bisher angenommen. Erstmals belegt eine wissenschaftliche Untersuchung, dass die Zahl der Insekten seit 1989 um die 80 Prozent zurückgegangen ist. In den vergangenen 27 Jahren wurden an 63 verschiedenen Standorten in Deutschland mittels Insektenfallen die Zahl der Insekten ermittelt. Die Publikation liefert den wissenschaftlichen Beleg dafür, dass mit der dramatischen Abnahme der Gesamtzahl der Insekten wirklich ein grossflächiges Phänomen vorliegt, das auch auf die Schweiz übertragbar sein dürfte.
Was die Ursachen für das Insektensterben sind, vermag die Studie nicht genau zu erklären. Die Tatsache, dass nicht nur bestimmte, sondern alle Insektenarten vom Absterben betroffen sind, weist indessen darauf hin, dass Verursacher in Frage kommen, die grossflächig in die Natur eingreifen, so zum Beispiel in der Landwirtschaft eingesetzte Düngemittel und Pestizide, aber auch Abgase aus Strassenverkehr, Fabriken und Ölheizungen.
Dass eine Abnahme des Insektenvorkommens in dieser Grössenordnung Auswirkungen auf die empfindlichen Ökosysteme hat, liegt auf der Hand: «Dieser bisher noch nicht entdeckte Verlust an Insekten-Biomasse muss berücksichtigt werden, wenn man den Schwund der Vielfalt von Arten untersucht, die bei der Nahrungsquelle auf Insekten angewiesen sind», so die Verfasser der Studie. Bezogen auf unsere Forellen und Äschen legt das den Schluss nahe, dass sich durch die massive Veränderung der Ernährungsgrundlage auch notgedrungen das Fressverhalten der Salmoniden veränderte und die Fische das Aufsteigen zur Oberfläche einstellten. Möglicherweise ist im Insektenschwund auch mit ein Grund für den generellen Salmonidenrückgang in den Fliessgewässern des Schweizer Mittellands zu sehen.

 

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