24 | 09 | 2018 | Schweiz | Video | 0 | 6901 |
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Kormoran – die Situation an den Jura-Randseen
Diesen Spätsommer berichteten uns mehrere Leser von einem massiven Kormoranaufkommen an den drei Jura-Randseen. Fischer sehen die einst grossen Fisch-Bestände ernsthaft gefährdet.
Wir Fischer haben eine Zahlenobsession und wissen genau, wie viele Fische wir wann und wo gefangen haben. Die Länge unserer persönlichen Rekordfische sind uns teils geläufiger als das Geburtsdatum der Lebenspartnerin. Anderseits spielen exakte Zahlen nicht immer eine entscheidende Rolle. «One, two, many», also «Eins, zwei, viele» ist die Zählweise vieler indigener Völker quer durch die Welt. Und auch für viele von uns Fischern trifft diese Zählweise genau den Punkt, wenn statt Rekorden das Thema Kormoran auf den Tisch kommt. Zu beobachten, wie mehrere hundert Vögel über eine Bucht herfallen, die Fische aufreiben und nach einer Viertelstunde wegziehen und eine Wasseroberfläche voller verletzter und sterbender Fische hinterlassen: Da fühlen viele Fischer eine Ohnmacht und eine Wut, die schwer zu beschreiben ist.
Der Kormoran ist ein Winnertyp
Die beunruhigendste Erkenntnis aus Fischersicht ist zweifelsohne der Umstand, dass es immer mehr Kormorane werden. Es hat so viele Kormorane wie noch nie, dies nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa: Vom Donaudelta bis nach Irland und von Schweden bis ans Mittelmeer. Mittlerweile geht man von einer gesamteuropäischen Population von mehr als einer Million Vögel aus. Der Kormoran ist intelligent, opportunistisch, anpassungsfähig und stellt wenig Ansprüche an sein Habitat. So passt er perfekt in unsere Zeit; aus diesen Eigenschaften sind heutzutage die «Winnertypen» gemacht.
Kormoran-Rekordaufkommen
Ende Juli bis Mitte August konnte ein solches plötzliches Auftauchen von Kormoranen am Bielersee beobachtet werden. Ein grosser Schwarm (die Schätzungen gehen von mehreren Hundert bis zu 3000 Exemplaren aus) flog während dieser Zeit wiederholt am Südost-Ufer zwischen Lüscherz und Biel ein. Dort dünnte er die ansonsten sehr dichten Schwärme von Rotaugen und Egli empfindlich aus. Diese Fischschwärme stehen in dieser Jahreszeit üblicherweise in einer Tiefe von zwölf bis 14 Metern. Seit dem Wegzug der Kormorane sei dort allerdings «gähnende Leere» wie erfahrene Bielersee-Fischer zu berichten wissen.
Ein so massiver Einflug ist ein neues Phänomen auf dem Bielersee, wie «Petri-Heil»-Mitarbeiter Ivan Valetny zu berichten weiss. Früher sei maximal eine Hundertschaft Kormorane aufs Mal zu beobachten gewesen, aber seit ein, zwei Jahren habe die Schwarmgrösse der Kormorane extrem zugenommen. Am Murtensee ist die Tendenz zwar ebenfalls zunehmend, aber nicht so sprunghaft ansteigend wie am Bielersee. Auch hier trifft man mitten im Sommer schneeweisse Bäume voller Kormoranfäkalien und eine Eglifischerei an, die nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Die Probleme dauern an, und anscheinend wird nichts dagegen unternommen.
Blick in die Fischfangstatistik
Der hohe Prädatorendruck schlägt sich noch nicht in der Statistik nieder. 2015 war ein hervorragendes Jahr für die Berufsfischer und auch 2016 liess sich sehen: 338 Tonnen Fisch wurden von den Berufsfischern auf dem Neuenburgersee gefangen. Dies entspricht dem Gegenwert von 2000 tagtäglich jagenden Kormoranen! Die Hobbyfischer fallen hier unter «ferner liefen»: Sie haben etwa 30 Tonnen pro Jahr gefangen, was dem gemittelten Gegenwert von 200 Kormoranen entspricht. Auch die Fangzahlen der Hobbyfischer sind über die Jahre 2012 bis 2016 stabil geblieben, obwohl der Kormoran in dieser Zeit starke Wachstumsraten verzeichnete. Es wird vermutet, dass sich die Berufsfischer-Fänge im aktuellen Jahr deutlich verringern könnten, was aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestätigt werden kann.
Die Sache mit den Zahlen
Das Zählen von raubenden Kormoranen ist annähernd ein Ding der Unmöglichkeit, man kann lediglich Hochrechnungen anstellen. Am Ende spielt es auch gar nicht so eine grosse Rolle, ob es heute 1000 oder 3000 Stück sind, denn morgen können sie wieder weg sein, unterwegs an den Genfersee, in die Vogesen oder sonstwo hin. Die Ornithologie zählt üblicherweise Brutpaare und keine einzelnen Vögel, und die tatsächlichen Zahlen sind davon abhängig, was alles unter ein Brutpaar subsummiert wird. So kann ein Brutpaar zwei, drei oder vier Vögel beinhalten. 2300 Brutpaare können also effektiv 9000 Kormorane bedeuten. Aber wie viele davon grad «in den Ferien» sind, und wie viele Gäste gerade da sind, weiss man nicht. Und die Frage, ab wann es zuviele sind, kann nicht schlüssig in Zahlen angegeben werden: An einem Fluss kann eine Hundertschaft Kormorane innert kürzester Zeit den gesamten Äschenbestand auslöschen. Am Murtensee hingegen sind mehrere hundert Vögel schon seit Jahren am Wüten, ohne ihn vollständig geleert zu haben.
Wie geht es weiter?
Die massiven Einflüge dieses Sommers dürften selbst an beinahe unermesslichen Fischbeständen Spuren hinterlassen. Sämtliche Fischer an den Jurarand-Seen, mit denen «Petri-Heil» gesprochen hat, teilen die Ansicht, dass die Egli-Fischerei in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden sei. Auch wenn die Welt ein Sammelsurium aus komplexen Sachverhalten ist, muss klar festgehalten werden: Es wurde über Jahrzehnte nichts gemacht, warnende Stimmen wurden als gierige Fleischfischer und ornithologische Analphabeten abgekanzelt und vertröstet. Und weil es bequem war, wurde auf die Selbstregulierung der Bestände hingewiesen. Schon klar, wenn es keine Fische mehr hat, gehen auch die Kormorane. Die ziehen nämlich einfach weiter zu den nächsten Fischgründen. Die riesigen Kormoranpopulationen sind ein menschgemachtes Problem – der Kormoran wurde in Europa bekanntlich unter Schutz gestellt –, dessen Lösung nicht an die Natur delegiert werden kann!
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