11 | 11 | 2019 | Diverses | 0 | 4770 |
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Das Pepe-Dilemma
Es liegt eine gewisse Hilflosigkeit in Pepes Stimme, als er mir vom Ausflug erzählt. Aber auch Wut. Pepe ist Jungfischerobmann in unserem Verein und einfach ein rundum guter Typ. Mit einer Handvoll Jungs und zwei Mädels steht er letzten Samstag auf der Hafenmole. Im klaren Wasser ziehen Trupps stattlicher Egli ihre Kreise. Mit allen Mitteln versuchen die Jungfischer, sie zum Biss zu verführen. Doch die Streifenräuber schenken Dropshot, Wobbler, Jig & Co. keine Beachtung. Die Jungfischer verzweifeln, und Pepe ist mit seinem Köderlatein am Ende.
«Wollen sie nicht?», lacht der Typ, der die Mole entlang geschlendert kommt. Auf den ersten Blick unverdächtig: Zigi zwischen den Lippen, Käppi auf dem Kopf, in der einen Hand die Rute, in der anderen den grünen Plastikeimer. Dort drin summt und blubbert leise eine Sauerstoffpumpe. Für Pepes geschultes Auge sofort klar: Lebendige Köderfische, «Läbig», wie die Technik hier kurz und bündig genannt wird. In einigen Kantonen erlaubt, in unserem streng verboten. Gibt eine saftige Busse, wenn sie Dich erwischen, und einen Eintrag ins Strafregister wegen Tierquälerei.
Die Jungs schauen neugierig zu, wie der Typ ein zappelndes Fischchen aus dem Eimer holt und auf den Haken spiesst. Kaum ist seine Leine im Wasser, kommt Leben in die Eglis. Einer nach dem andern landet auf der Mole. Wunderschöne Fische. Pepes Jungfischer bekommen glänzige Äuglein. Und Pepe selber ist ziemlich ratlos. Totales Dilemma.
Was hättest du gemacht an Pepes Stelle? a) Die Mädels und Jungs auch mal mit «Läbig» probieren lassen? Wäre mega heikel. b) Sie zur Seite genommen und ihnen die Fischereivorschriften erklärt? Wirkt etwas schulmeisterlich. c) Heimlich der Polizei angerufen? Hat was Spitzelhaftes. d) Dem Typen alle Schande gesagt und ihm den Köderfisch-Eimer ins Wasser gekippt? Irgendwie uncool und anfällig für gröberen Zoff.
Viele von uns haben ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Regeln und Vorschriften. Vielleicht, weil es bei uns so viele davon gibt. In den meisten anderen Ländern dieser Erde dienen die Fischereivorschriften nämlich dem einzigen Zweck, den Fischbestand zu schützen: Schonzeiten, Mindestmasse und vor allem: Fangzahlbeschränkungen. Wie man die Fische fängt, wird fast überall auf der Welt dem Angler selber überlassen.
Nicht so bei uns in der Schweiz. Hier kommen zu den bestandesschützenden Regelungen noch die Tierschutzvorschriften hinzu. Und damit wird die Diskussion über «Dos» und «Don’ts» beim Fischen ziemlich unübersichtlich – und auch widersprüchlich. Das Fischen mit «Läbig» beispielsweise ist auf Bundesebene untersagt – doch können die Kantone Ausnahmebestimmungen erlassen. Und tun das auch. Bedeutet für uns Fischer in der Praxis: Dort erlaubt und hier bei (fast) Höchststrafe verboten. Erklär diese Tierschutz-Logik mal einem Kumpel in Süditalien. Der schüttelt nur den Kopf.
Aber auch mit meiner eigenen Ethik und Moral decken sich nicht alle unsere Vorschriften. Doch darum geht es nicht. Der Punkt, der mir am Herzen liegt, hat mit dem Erlebnis von Pepe auf der Hafenmole zu tun, dem sogenannten «Pepe-Dilemma». Zwei Fragen sind damit verknüpft. Erstens: Wie streng bist Du selber mit Dir, wenn es ums Einhalten der Vorschriften geht? Und zweitens: Wie sollen wir reagieren, wenn wir andere Fischer beim Missachten der geltenden Regelungen beobachten?
Für mich selber habe ich die Entscheidung getroffen: Was im jeweiligen Revier gilt, das halte ich ein, egal, wie sinnvoll ich es finde. Bünzlig? Meinetwegen. Aber wir Fischer wollen ja ernstgenommen werden. Und dafür müssen wir möglichst geeint auftreten. Wenn jeder immer nur das tut, was er persönlich für richtig und gut hält, gelingt das nicht.
Und das «Pepe-Dilemma»? Höflich, aber unmissverständlich weist Pepe den Typen auf der Mole darauf hin, dass das Fischen mit «Läbig» bei uns gegen die Vorschriften verstösst. Punkt. Find ich total souverän, Pepes Reaktion. Und eine halbe Stunde später haben die Eglis sogar auf die Gummiköder der Jungfischer gebissen.
Steff Aellig ist Psychologe und arbeitet als Wissenschaftsjournalist. In seiner Kolumne schreibt er über die Abgründe seiner Angel-Sucht – und findet heraus, was ihn in seinem Alltag als Ehemann und dreifachen Familienvater alles daran hindert, diese Sucht auszuleben.
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