10 | 09 | 2015 | Praxis | 0 | 11052 |
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Auf dem Weg zur «Welsregion»
Während die meisten Fischarten Mühe bekunden mit den Veränderungen an unseren Mittellandflüssen, profitieren einige von den neuen Rahmenbedingungen. Dazu gehört der grösste Raubfisch der Schweiz. Wir erklären, wieso der Siegeszug der Welse die Fischbiologen ganz und gar nicht überrascht.
Der Wels ist glücklicherweise eine Mimose. Sobald das Quecksilber in den einstelligen Bereich fällt, wird er träge und faul. Sinkt die Wassertemperatur auf fünf Grad oder darunter bewegt sich der Wels nur noch wenig. Wenns den Forellen also erst richtig wohl wird, träumt der Bartelräuber von Jahrtausendsommern. So richtig leistungsfähig wird ein ausgewachsener Wels erst ab etwa 18 Grad Wassertemperatur. Dann sind wir aber bereits am Ende seiner Schwächen. An die physikalisch bedingte Sauerstoffarmut des warmen Wassers ist er perfekt angepasst. Sein Blut enthält maximale Mengen des Sauerstoff-Trägers Hämoglobin. Damit ist der Wels topfit unter Bedingungen, die den meisten heimischen Flussfische nicht behagen.
Ein «moderner» Raubfisch
Der Wels ist in vielerlei Hinsicht prädestiniert als Nutzniesser der aktuellen Gewässersituation. Er stammt aus einer der erfolgreichsten Fischgruppen der Neuzeit – den Siluriformes. Zur Zeit sind mehr als 3300 siluriforme Arten rund um den Globus erfasst. In vielen Gewässern sind sie die dominierenden Raubfische. Mutter Natur hat sie dafür mit wirksamen Sinnesorganen ausgestattet, die es ermöglichen rund um die Uhr und selbst bei grösster Wassertrübung erfolgreich zu jagen. Keine Überraschung deshalb, dass Welse auch ausgesprochen opportunistische Räuber sind. Gefressen wird, was vor die Barteln kommt und ganz heruntergeschluckt werden kann, denn scharfe Zähne fehlen (zum Glück!) in der Ausstattung. Mit zunehmender Körpergrösse erweitert sich das Beutespektrum natürlich erheblich. Bei kapitalen Welsen umfasst es auch Wasservögel, Schlangen, Bisamratten und Fische bis über einen Meter Länge. Im Vergleich zum Hecht fressen grosse Welse aber auch viel mehr kleine Beutetiere. Diese Vielseitigkeit ist auf jeden Fall ein Erfolgsfaktor.
Hoch entwickelte Sinne
Für die Jagd spielen die kleinen Augen nur eine untergeordnete Rolle. Welse verfügen dafür über eine äusserst feine Nase für die Fernortung und einen hervorragenden Geschmackssinn für den Nahbereich. Die Geschmacksknospen sind nicht auf Zunge und die sechs Barteln beschränkt, sondern überziehen auch Flossen und Rumpf. Mit dieser riesigen Sensorfläche lässt sich die Umgebung selbst in kompletter Dunkelheit nach Fressbarem absuchen. Aber es geht noch weiter: Das Gehör der Welse ist erstaunlich leistungsfähig und auch in der Lage Geräusche ausserhalb des Wassers wahrzunehmen. Wen wunderts, dass auch sein Seitenlinienorgan hoch entwickelt ist. Forscher vermuten, dass Welse die Wirbelspur von Beutetieren im Wasser verfolgen können. Nicht zuletzt besitzen Welse möglicherweise auch Elektro-rezeptoren, und wären damit fähig Beutetiere allein anhand ihrer Muskelaktivität zu orten. Je mehr man sich mit diesem faszinierenden Fisch beschäftigt, desto grösser wird das Staunen über seine vielfältigen Talente.
Die Jagdaktivität der Welse ist stark von der Wassertemperatur abhängig. In unseren Breiten ist der Wels von Spätherbst bis Frühling nur wenig aktiv. Trotz dieser kurzen Saison wachsen Welse schnell. Unter günstigen Voraussetzungen erreichen sie innert eines Jahres fast einen halben Meter und bis zu 500 Gramm Gewicht. Für den ersten Meter brauchen sie sechs bis sieben Jahre. Spätestens dann sind die Welse auch in unseren Breiten fortpflanzungsfähig.
Wehe, wenn es wärmer wird
Damit die Welse in Hochzeitsstimmung kommen, muss sich das Wasser auf 18 bis 20 Grad erwärmen. Die Männchen bauen mit Schwanzschlägen eine Vertiefung. Manche «polstern» sie sogar mit Pflanzenteilen. Dem Laichakt geht ein stürmisches Vorspiel voraus, das bei grossen Exemplaren nicht zu übersehen ist. Ein gesundes Weibchen kann pro Kilogramm Körpergewicht bis zu 25?000 Eier produzieren. Sie werden in grossen, klebrigen Klumpen abgelegt. Das Welsmännchen bewacht das Gelege und fächelt ihm mit der Schwanzflosse frisches Wasser zu, bis die kaulquappenähnlichen Larven schlüpfen. Bei einer grossen Welsmama sind das mehrere Millionen Sprösslinge! Fazit: Bisher schränken die Temperaturen in unserem Land den Lebensraum und die Aktivität der Welse deutlich ein. Falls sich Klima und Gewässer weiterhin zu Gunsten des Welses verändern, wird er ohne Zweifel eine deutlich wichtigere Rolle in unseren Gewässern spielen.
Gibt es eine «Welsregion»?
In seinem Standardwerk «Die Fische der Schweiz» von 1936 schrieb Paul Steinmann: «Der Wels ist zu selten, um für den Sportfischer Bedeutung zu haben.» Damals waren der Bodensee und die drei Jurarandseen die einzigen Schweizer Gewässer mit einem nennenswerten Welsvorkommen.
Seit etwa zwanzig Jahren stellt man in ganz Mitteleuropa die Ausbreitung und Zunahme der Welsbestände fest, insbesondere in den Flüssen.
In manchen Gewässersystemen wie der Rhône oder dem Po standen Besatzmassnahmen am Ausgangspunkt für massive Bestandesexplosionen. Vielerorts waren es aber hauptsächlich menschgemachte Lebensraumveränderungen, die den Wels begünstigten.
In Deutschland entwickelten sich beispielsweise die Warmwassereinleitungen von Kohle- und Atomkraftwerken zu Welsreservaten, wo die Fische viel schneller wuchsen und sich stark vermehrten. Der Bau von Kraftwerken verbesserte die Bedingungen weiter. An den grossen Flüssen entstanden ausgedehnte Stauhaltungen mit schwacher Strömung, mit dichten Wasserpflanzenbeständen und schlammigen Böden. Natürlich erwärmt sich dadurch das Flusswasser zusätzlich. Dazu machte sich eine generelle Erwärmung der Gewässer bemerkbar und schliesslich tauchten eine Reihe von Neozooen auf, die gut ins Welsmenü passen, insbesondere die amerikanischen Krebsarten, die sich teilweise stark vermehrt haben.
In der Schweiz sind es vor allem der Rhein und die Aare sowie die Unterläufe ihrer grösseren Zuflüsse (Limmat, Thur, Töss, Emme u.a.), wo sich der Wels als wichtigster Raubfisch etabliert. Diese Entwicklung ist eng verknüpft mit den diversen Kraftwerken in diesen Flüssen. Die ausgedehnten Staubereiche von Rhein und Aare sind zur eigentlichen «Welsregion» geworden, das zeigen auch die Fangstatistiken. Obwohl bisher nur relativ wenige Flussfischer gezielt auf Welsfang gehen, ist der statistisch erfasste Jahresertrag aus Schweizer Fliessgewässern auf mittlerweile rund tausend Stück gestiegen. Der tatsächliche Bestand dürfte weit höher liegen.
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