04 | 12 | 2023 | Schweiz | 0 | 3046 |
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Werdenberger Binnenkanal:
Erfolgsrezept für Renaturierungen
Die naturnahe Gestaltung des Werdenberger Binnenkanals ist ein Vorzeigeprojekt und für die Ostschweiz einmalig. «Petri-Heil» fragte Regierungsrat Beat Tinner vor Ort nach den Erfolgsgründen und den Herausforderungen solcher Projekte.
Während über 100 Jahren floss das Wasser des Werdenberger Binnenkanals in seinem technisch begradigten Lauf. Im Abschnitt ARA Buchs bis Ochsensand wurde auf einer Länge von knapp zwei Kilometern ein renaturiertes Flussbett gestaltet. Das Gerinne mit Flachwasserzone ist bis zu 60 Metern breit. Ziel des Grossprojekts war es, ein revitalisiertes Paradies für Mensch, Tier und Natur entstehen zu lassen.
Auf einer Fläche von rund 65 000 Quadratmetern wurde das neue Landschaftsbild mit Auenwaldgebieten und Schilfbereichen gestaltet. Das ausgehobene Erdmaterial wurde wiederverwertet und für einen Lärmschutzdamm entlang der Autobahn aufgeschichtet und mit Bäumen bepflanzt.
«Petri-Heil»: Herr Regierungsrat, Sie waren langjähriger Gemeindepräsident von Wartau, in der Region, wo der neugestaltete Werdenberger Binnenland durchfliesst. Wie konnte eine solch umfassende Renaturierung realisiert werden?
Beat Tinner: Zu Beginn befassten wir uns mit einem Gewässerentwicklungsplan. Und dann fragten wir uns, warum nicht etwas grösser denken und wirklich renaturieren. Über knapp fünf Jahre planten wir weiter unter Einbezug aller Beteiligten. Der FV Werdenberg zog sehr gut mit, sensibilisierte seine Mitglieder und brachte das fischereiliche Fachwissen ein. Weitere Ansprechgruppen konnten sodann abgeholt werden. Entscheidend war sicher, dass wir den Fokus darauf legten, dass es auch ein Naherholungsgebiet sein soll, von dem alle profitieren. Eine solche Aufwertung muss greifbar sein für alle, die Leute wollen mitten in der Natur sein. Eine Aufwertung mit Betretungsverboten hingegen wäre keine gute Idee gewesen.
Was sind die grössten Herausforderungen bei einem solchen Projekt?
Erfahrungsgemäss gibt es vor allem Widerstand, wenn Landwirtschaftsland betroffen wird. Wir mussten auch Waldanteile roden, um den Bachverlauf verlegen zu können, was auch Bedenken hervorrief.
Doch am Binnenkanal konnte am Ende gar Ackerland gewonnen werden, weil der neue Gewässerverlauf in Nichtlandwirtschaftsland verlegt wurde und schliesslich der alte Kanal für die Landgewinnung zugeschüttet wurde.
So gab es am Ende nur zwei Einsprachen, die gütlich geregelt werden konnten.
Wieviel kostete das Projekt und wo sind die nächsten Schritte geplant?
Bereits 1996 konnten erste Renaturierungen auf Gemeindeebene in den Giessen Wartau und später den Tankgräben realisiert werden. Der Werdenberger Binnenkanal Perimeter ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen geblieben, weshalb wir die Führung so schlank wie möglich halten konnten. Mit einem Aufwand von weniger als sechs Millionen Franken konnte das Projekt schliesslich realisiert werden. Und der Betrieb läuft nun einigermassen reibungslos – auch finanziell. Jetzt sind weitere Etappen in Sevelen und Sennwald in Planung.
Wie sieht es mit der Artenvielfalt im neuen Abschnitt aus?
Die Artenvielfalt profitiert selbstverständlich von der Renaturierung, und das überall, nicht nur bei den Fischen. Aber wir sind froh, dass die Äschenpopulation von nationaler Bedeutung erhalten werden kann. Neben Insekten- und Vogelarten hat sich der Biber etabliert und es wurde auch bereits ein Fischotter gesichtet.
Ja, der Biber ist ja willkommen, aber er hat mit seinen Bauten die Wasserzufuhr der bachaufwärts gelegenen Äschenaufzucht des FV Werdenberg beeinträchtigt.
Wie weit der Biber schuld ist an der Wasserzufuhr, müssen die Fachleute beurteilen. Der Fischereiverein hat die Leistungsvereinbarung mit dem Kanton gekündigt, sodass wir nicht mehr direkt zuständig sind. Wir konzentrieren uns auf die beiden kantonalen Fischereizentren in Steinach und Weesen.
Beim FV Werdenberg geht es jetzt um die Finanzierung der Solaranlage, die zum Pumpen der Grundwasser-Zufuhr notwendig ist. Ich habe die Akteure an einen gemeinsamen Tisch gebracht und bin ehrlich gesagt zuversichtlich, dass der Verein das Geld für den Betrieb der Pumpanlage zusammenbringt.
Wir stehen nun auf einer kleinen Brücke im Auengebiet Ceres. Ceres ist die römische Göttin des Ackerbaus, der Fruchtbarkeit und der Ehe. Wir sehen zwei Äschen, die weghuschen. Der Bach teilt sich abwärts ausgeweitet um eine Insel. Nicht nur naturnah, es ist Natur!
Wie Sie sehen, wurden rechtsufrig kleinere Tümpel geschaffen, die zwischenzeitlich auch mal wieder austrocknen. Und linksufrig liegt das gewonnene Landwirtschaftsland, wo man nachträglich noch Steine herauslesen musste, um bewirtschaftbares Ackerland zu schaffen.
Wir sind dem Velosträsschen entlang gekommen, aber hier sehen Sie auch einen Trampelpfad entlang des Bachs. Wir wollen nicht überall Verbotstafeln aufstellen, denn das Naherholungsgebiet soll für so viele Bevölkerungsansprüche wie möglich dienen.
Der Wasserstand ist Ende Oktober immer noch gut. Wie sieht es mit den Temperaturen aus?
Die steigenden Temperaturen sind wohl Folge des Klimawandels. Deshalb ist die Beschattung sehr wichtig. Wir konnten hier alte Baumbestände teilweise erhalten und haben zudem beidseitig bepflanzt. Deshalb ist der renaturierte Bachlauf praktisch vollständig im Schatten. Und wir hoffen, dass auch mal ein Baum ins Wasser fällt, wenn er sein Lebensende erreicht hat.
Wie könnte man solche kleine Naturparadiese auch anderswo schaffen?
Ich habe kürzlich die Gewässer des Linthgebiets besichtigt, wo es viele begradigte Bäche gibt. Auch hier könnte man mit relativ einfachen Mitteln revitalisieren und beschatten. Man kann viel bewirken, wenn man Landwirtschaft, Ornithologen und Fischerei an einen Tisch bringt, bevor die Fronten verhärtet sind.
Und wer muss dazu den ersten Schritt machen?
Die Fischervereine sind oft die ersten, die Inputs geben. Damit schliesslich auch etwas passiert, braucht es jedoch die Unterstützung der Standortgemeinden. Wenn die Gemeinden wollen, unterstützt sie der Kanton und die Finanzierung kann dann meistens gewährleistet werden, obwohl wir keinen eigentlichen Renaturierungsfonds haben im Kanton St. Gallen.
Solche Projekte müssen also von der Basis angestossen werden?
Genau. Als Gemeindepräsident konnte ich mehr direkt gestalten denn als Regierungsrat. Jetzt versuche ich zu motivieren, damit Projekte angepackt werden vor Ort und wir dann die Umsetzungen unterstützen können.
Wir danken Ihnen für die eindrückliche Führung durch dieses Kleinod inmitten des industrialisierten St. Galler Rheintals.
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