![Felchen [– Der Schweizer «Brotfisch»]](https://petri.dimaster.io/assets/cache/600/600/media/Artikel/2021/02/Felchen/IMG_1991(10).jpg)


20 | 04 | 2020 | Praxis | ![]() | ![]() |
20 | 04 | 2020 | Praxis |
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Es ist eines der reizvollsten Abenteuer, das die Fischerei in den Alpen bietet: die Seeforellenpirsch mit Fliegenrute und Streamer. Als erfahrener Spinnangler wagt unser Autor zu behaupten, dass diese Methode mindestens so erfolgreich sein kann wie das Fischen mit Löffeln und Wobblern.
Meist ist es irgendwann im März soweit. Die Tage werden länger, mein See erwacht, und ich werde unruhig. Schaut man genauer hin, sieht man es am Ufer emsig krabbeln und schwirren. Jetzt öffnet sich das aussichtsreichste Zeitfenster für Fliegenfischer, die abenteuerlustig und wahnwitzig genug sind für einen Versuch auf die Königin der Seen.
In ihren riesigen Lebensräumen sind die Seeforellen sehr mobil und bewegen sich die meiste Zeit ausserhalb der Reichweite von Uferfischern. Mit Vorliebe folgen sie den Schwärmen ihrer Beutefische. Das sind je nach Gewässer Felchen, Saiblinge, Egli, Rotaugen, Lauben oder Elritzen. Oft spielt sich diese Jagd in grossen Tiefen ab, in zwanzig, fünfzig oder sogar hundert Metern. Und je grösser Forellen werden, desto wohler fühlen sie sich im düsteren Dämmerlicht am Seegrund oder in der Sprungschicht, solange es dort genug zu fressen gibt. Das tönt so gar nicht nach Fliegenfischen ...
Doch von Zeit zu Zeit unternehmen Seeforellen Raubzüge an die Oberfläche oder ins Flachwasser und bieten uns die Chance auf ein spektakuläres Rendezvous. Ob es dann klappt, ist eine andere Frage, aber wenn es endlich geschieht, ist es für mich eine der intensivsten Erfahrungen, die in der Alpenfischerei möglich ist.
Meine Hoffnung ruht auf jenen Seeforellen, die in die Uferzone kommen, um zu jagen. Wenn die Bedingungen dafür vorteilhaft sind, schlagen sich selbst kapitale Exemplare im Fressrausch den Bauch voll in Ufernähe.
Wo und wann das geschieht, hängt unter anderem ab von der Uferstruktur, von den Wind- und Strömungsverhältnissen und vom Nahrungsangebot im See. Je besser man seinen See versteht, desto wahrscheinlicher wird so eine Begegnung.
Nach meinen Erfahrungen stehen die Chancen dafür am besten im März, April und Mai, manchmal auch noch im Juni. In meinem Hausgewässer, dem Walensee, knistert die Luft, sobald die Elritzen im Flachwasser unterwegs sind. Wenn wenig später auch noch die ersten Egli auftauchen und die grossen Eintagsfliegen schlüpfen, bin ich auf alles gefasst.
Dichte Schwärme von Jung- und Kleinfischen in Ufernähe sind in allen Seeforellengewässern, die ich näher kenne, der verlässlichste Anhaltspunkt. Früher oder später wird die eine oder andere Seeforelle dieses lebende Buffet entdecken und sich bedienen. Spannend wird es auch, wenn die Elritzen, Lauben und Rotaugen laichen. Ist so leichte Beute im Angebot, steigen auch schwere Kaliber aus ihrem düsteren Reich in der Tiefe auf.
Für ihre Beutezüge in Ufernähe bevorzugen die Räuber dichte Bewölkung, getrübtes Wasser und die Dämmerung oder sogar die Nacht. Im Schutz der schlechten Sichtverhältnisse dringen Forellen manchmal bis in knöcheltiefes Wasser vor. Auch starker Wellengang lockt die Seeforellen zum Ufer. Die Verwirbelungen bringen kleinere Fische aus dem Gleichgewicht und spülen Kleintiere frei wie Flohkrebse, Insektenlarven oder Würmer. Ein gefundenes Fressen!
Die wichtigsten Faktoren sind Wassertemperatur, Wind und Lichtverhältnisse. Der Stoffwechsel der Seeforellen läuft auf Hochtouren bei Temperaturen zwischen etwa 5 und 15 Grad. Im Winter und im zeitigen Frühling sind deshalb die wärmsten Stellen im See interessant. Erreicht die Oberfläche die erwähnten 15 Grad, werden kühlere Bereiche attraktiver, beispielsweise Bachmündungen oder Quellen. Mit einem Thermometer – ich verwende ein Infrarot-Küchenthermometer – findet man oft erstaunlich deutliche Unterschiede und bekommt wichtige Anhaltspunkte. Dieser kleine Mehraufwand lohnt sich definitiv!
Wind hat einen starken Einfluss auf die Wege der Seeforellen. Sobald er über längere Zeit aus einer Richtung weht, entstehen Strömungen, die Plankton, Fischbrut und Anflug verfrachten und an gewissen Stellen konzentrieren. Die Beutefische der Seeforellen folgen diesen «Futterwolken». Die Situation wird noch attraktiver, wenn der Wind zusätzlich auch wärmeres Oberflächenwasser in diese Zone schiebt. Es ist dieses Phänomen, das einige unscheinbare, kleine Buchten am Walensee bei passender Windrichtung zu Seeforellen-Magneten werden lässt.
Wind sorgt zudem für Wellen. Eine unruhige Wasseroberfläche reflektiert deutlich mehr Licht als ein glatter Spiegel. Aufkommender Wind und die dadurch verminderte Helligkeit unter Wasser weckt die Jagdlust der Seeforellen. Sie verlassen sich nämlich stark auf ihre leistungsfähigen, lichtempfindlichen Augen. Bei schwachem Licht sehen sie viel besser als die meisten ihrer Beutetiere. Geschickt nutzen sie die Übergänge zwischen Hell und Dunkel, beispielsweise die Randbereiche einer Trübung oder die Dämmerlichtzone im Mittelwasser.
Apropos Augenräuber: Wenn ich an steilen Ufern fische, stelle ich mir motivationshalber vor, wie zwei Etagen tiefer ein Trupp hungrige Silbertorpedos den Felsen entlang patrouilliert. Wie aus dem Nichts schiesst eine der Forellen aus der Tiefe nach oben und inhaliert gierig meinen Streamer.
Das ist nicht bloss ein schöner Tagtraum. Ich habe das mehrere Male erlebt und konnte einen der Angreifer sogar landen. Leider nicht die ganz Grosse, bei deren Attacke mir fast das Herz stehen blieb, aber immerhin einen grimmigen Haudegen mit 66 Zentimetern. Dank diesen Erlebnissen fische ich mit Zuversicht über tiefem, klarem Wasser.
Selbst bei idealen Bedingungen muss man die Seeforellen in der Regel suchen. Dafür braucht es Zeit, Ausdauer und eine Strategie. Wer Glück hat, beobachtet eine Seeforelle beim Rauben. Die Chancen, so einen Fisch zu überlisten, stehen ausgezeichnet, insbesondere mit der Fliegenrute. Deshalb ist es gut investierte Zeit, das Wasser aufmerksam zu beobachten. Seeforellen verraten sich manchmal auch durch Buckeln, Steigen oder Springen.
Wenn mir direkte Anhaltspunkte fehlen, orientiere ich mich an Strukturen. Interessant sind grundsätzlich alle Bereiche, wo das Ufer rasch abfällt. Hier können die Seeforellen aus tiefem Wasser zum Fressen in Ufernähe vordringen und sich rasch wieder zurückziehen, um im Schutz der Tiefe den nächsten Jagdplatz anzusteuern. Zudem nutzen sie gern steile Felsufer, um ihre Beute in die Enge zu treiben.
In nahrungsarmen Seen wie dem Walensee ist das Nahrungsangebot unregelmässig verteilt. Es konzentriert sich an Hot Spots, die ich Oasen nenne. Das macht die Suche aufwendiger, aber sobald man einige der Oasen kennt, auch einfacher, weil die Fische nicht so viel Auswahl haben.
Oasen sind Stellen oder Regionen mit einer möglichst hohen Dichte an nahrhafter Beute, die sich mit möglichst wenig Aufwand fressen lässt, also Schwarmfische in maulgerechter Grösse, manchmal aber auch Eintagsfliegen, Zuckmückenlarven oder nahrhafter Anflug wie Maikäfer oder Ameisen.
Falls ich einen See noch gar nicht kenne, starte ich in den Mündungsbereichen der Zuflüsse, insbesondere, wenn sie trübes Wasser führen. Und dann gibt es auch weniger offensichtliche Plätze. Es sind Strukturen, die Lebensraum für Beutefische und Deckung für den Jäger bieten, also Wasserpflanzen, Steine, versunkene Bäume, Hafenstege oder Bojenfelder. Tiefes Wasser in der Nähe erhöht die Wahrscheinlichkeit stark, dass auch kapitale Exemplare vorbeikommen.
Der Idealfall sind wie erwähnt dichte Ansammlungen von Beutefischen. Wer so einen Ort kennt oder entdeckt, muss oft «nur» abwarten: Früher oder später werden Seeforellen hier aufkreuzen.
Die richtige Bekleidung und ein gut gepackter Rucksack sind unverzichtbar. Nur wer ausdauernd und konzentriert fischt, hat eine reelle Chance. Vor allem bei windigem, kühlem Wetter braucht es dafür die passende Ausrüstung. Wer friert, hat schon verloren. Eine wasser- und winddichte Aussenschicht von Kopf bis Fuss und eine wärmende Innenschicht in mehreren Lagen sind mindestens so wichtig wie Rute, Rolle und Fliege.
Für steile, felsige Uferpartien bevorzuge ich Wanderschuhe mit gutem Profil. Eine Wathose kann an gewissen Stellen den Aktionsradius erweitern und erleichtert das Werfen. Bei klarem Wasser und wenig Wind geht man allerdings das Risiko ein, dass man mit Waten die Forellen verscheucht. Wenn die Aktion weit draussen stattfindet, dann setze ich auf ein Belly Boat oder ein Kajak. So ein schwimmender Untersatz erlaubt auch das Befischen von unzugänglichen, dicht verwachsenen Steilufern.
Doch selbst mit perfektem Equipment bleibt die Seeforellenpirsch eine Herausforderung. Man kann alles richtig machen und wird dennoch nicht belohnt. Lachs- und Meerforellenfischer wissen, wovon ich spreche. Eine Thermoskanne mit Suppe, Tee oder Kafi und ein paar feine Snacks gehören unbedingt in den Rucksack als Stärkung und Trost. Regelmässige Pausen, vielleicht auch ein Feuerchen, sind weise investierte Zeit und bereichern das Angelerlebnis.
Die mächtigen, silberglänzenden Prachtsexemplare, von denen ich am Wasser oder am Bindestock träume, ernähren sich zu 99 Prozent von Fischen. Für mich gibt es keinen Zweifel, dass der Streamer daher die vernünftigste Wahl ist, wenn man eine Seeforelle mit der Fliegenrute überlisten will. Die Ausnahme sind Seen mit starkem Maifliegenschlupf, wie der Vierwaldstättersee. Dieses Feld überlasse ich aber demütig den lokalen Experten.
Es gibt Momente, da scheinen Forellen alles anzugreifen, was irgendwie schimmert, glänzt oder sich auffällig verhält. Einen Seeforellentag beginne ich deshalb optimistisch in diesem Bewusstsein und setze auf pure Provokation: Grelle Farben und Glitter. So fing ich meine bisher grösste Seeforelle. Sie schnappte sich einen Magic Head Leech von Marc Petitjean in Chartreuse, der mit seinem Plastikkragen zusätzlich auch noch Druckwellen produziert. Fluoreszierendes Giftgrün ist für mich die Farbe der Wahl für die Suchfischerei auf alle Salmoniden, nicht nur bei angetrübtem Wasser. Valable Alternativen sind Pink, Orange und Gelb. Manchmal ist allerdings etwas mehr Raffinesse vonnöten. Wenn die scharfäugigen Jäger unseren Köder schon von weitem sehen, können sie misstrauisch, ja geradezu pingelig sein! Über tiefem Wasser fische ich in diesem Fall mit Fischchen-Streamern aus synthetischen Fasern in realistischen Farben, wie dem Bully von Daniela Misteli oder dem Crafty Minnow des flywithus-Teams (siehe «Petri-Heil» 3/2018).
Doch das Muster ist nur die eine Hälfte des Angebots, mindestens so wichtig ist die Präsentation. Ich glaube an Tempo. Je schneller man die Fliege einzupft, desto weniger Zeit bleibt der Forelle, um den Köder genauer zu betrachten. Eine schnelle Flucht löst oft einen Raubreflex aus, und je gieriger der Biss, desto besser sitzt der Haken.
Meine Empfehlung für flachere, felsige Strände ist der Woolly Bugger in Naturfarben. Die Silhouette mit dem grossen Kopf und der schlängelnde Marabouschwanz ahmt Groppen und kleine Trüschen nach. Diese beiden Arten bringen Seeforellen regelrecht in Rage, möglicherweise, weil sie sie als Laichräuber erkennen und ganz und gar nicht mögen!
Die Imitation wirkt noch überzeugender, wenn man sie wie einen Jig mit kleinen Zupfern in Grundnähe führt. Diese präzise Präsentation ist naturgemäss
etwas langsamer.
Das Streamerfischen auf Seeforellen ist technisch und taktisch keine Hexerei. Entscheidend ist die bewusste, smarte Auswahl der Stellen und viel Ausdauer. Ich bin nach mehr als zwanzig Jahren Seeforellenpirsch überzeugt, dass im Kontrast zu Spinnern, Löffeln und Wobblern die deutlich dezentere Präsentation mit der Fliegenrute und das attraktive Spiel eines guten Streamers in vielen Situationen den Unterschied ausmacht.
Rute und Rolle sollen möglichst leicht sein, damit wir uns ganz aufs Fischen fokussieren können. Ich fische 9 Fuss-Salzwasserruten der Kaliber 6 /7 (z. B. Loomis Cross Current oder Scierra HMX). Damit lässt sich auch bei Gegenwind mühelos um die 20 Meter weit werfen. Maximale Wurfweite ist bei dieser Fischerei tatsächlich ein Vorteil, denn sie verschafft dem Köder wertvolle Wasserzeit. Das addiert sich im Lauf eines Fischertags bald einmal zu einem erheblichen Chancenplus. Bei der Rolle achte ich auf müheloses Handling und eine Bremse, die auch bei Minusgraden sanft Schnur gibt. Spätestens, wenn ein kapitaler Fisch in den See hinausprescht, lernt man das zu schätzen.
Ich bin überzeugt von Intermediate-Schnüren, wie sie von diversen Herstellern für die Meerforellenfischerei an der Küste angeboten werden, z. B. die Rio Outbound. Auch Sinkschnüre haben in manchen Situationen ihre Berechtigung. Meine Erfahrung ist aber, dass Seeforellen einen oberflächennahen Köder auch aus grösseren Tiefen attackieren, wenn sie in Fresslaune sind.
In klarem Wasser sind Seeforellen schnurscheu. Da grosse Seeforellen furios kämpfen können, würde ich beim Vorfach trotzdem nicht unter 0,28 mm gehen. Das unauffällige Fluorocarbon ist deshalb eine sinnvolle Wahl. Ein weiterer Vorteil ist seine Abriebfestigkeit, weil Seeforellen im Drill oft versuchen den Köder loszuwerden, indem sie sich am Grund wälzen und an Felsen reiben, um den Fremdkörper in ihrem Kiefer loszuwerden.
Meine Empfehlung sind neun Fuss lange auf 0,30 mm verjüngte Nylonvorfächer mit einer 0,28er-Spitze aus Fluorocarbon von 80 bis 100 Zentimeter Länge.
Fischt man an felsigen Ufern, braucht man für die Landung einen grossen Feumer mit einem ausreichend langen Stiel. Wenn immer es möglich ist, versuche ich allerdings eine grosse Forelle zu stranden. Seeforellen messe ich nicht. Ist ein Fisch nicht eindeutig über dem Mass, löse ich den Haken rasch und schonend im Wasser.
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