25 | 05 | 2021 | Schweiz | 3 | 10774 |
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Fischotter – Was wenn er kommt?
Seit 1989 galt der Fischotter in der Schweiz bis zu seiner zufälligen Wiederentdeckung 2009 in einem Fischpass bei Reichenau als ausgestorben. Inzwischen tritt der geschützte Rückkehrer in der Schweiz an verschiedenen Standorten auf und wird wohl bleiben. Aus dem bereits weitflächig vom Wassermarder bewohnten Österreich berichtet uns Fischökologe Clemens Ratschan.
Beim Eurasischen Fischotter (Lutra lutra) handelt es sich um eines der am weitest verbreiteten Säugetiere weltweit. Von Portugal bis Kamtschatka und von Nordafrika und Sri Lanka bis Sibirien reicht die Verbreitung dieser Marderart. Mit der Ausnahme Europas hat sich daran auch nicht viel geändert. Nur hier hat es der Mensch im 19. und 20. Jahrhundert geschafft, den Otter grossflächig auszurotten. Parallel zu seinem Niedergang wurden auch Flüsse reguliert, gestaut, Auen zerstört und Feuchtgebiete trockengelegt. In der Schweiz, den Niederlanden und den überwiegenden Teilen Westdeutschlands sowie Österreichs war er über weite Teile des letzten Jahrhunderts verschwunden – letztendlich durch Verfolgung. Denn die massiven Eingriffe in die Gewässer liessen auch Fischbestände zusammenbrechen und der Fischotter wurde zunehmend als Konkurrenz der Fischerei gesehen. Die Ausrottung des Fischotters wurde sogar offiziell im ersten Schweizer Bundesgesetz zur Fischerei im Jahr 1888 verankert. Erst 1952 und während seines vollständigen Verschwindens wurde diese Art in der Schweiz unter Schutz gestellt. Er ist nicht die einzige einst ausgerottete Säugetierart, die inzwischen wieder zurückkehrt. Ist genügend Futter vorhanden, der Lebensraum einigermassen vernetzt und unterlässt man eine gezielte Verfolgung, kommen anpassungsfähige Arten wie Biber und Wolf von selbst zurück. Im Fall des Otters deutet vieles darauf hin, dass zusätzlich Umweltgifte wie PCB eine wesentliche Rolle spielen, weshalb dessen Rückkehr vergleichsweise schleppend vonstatten ging. Die Wiederbesiedlung Österreichs mit Ausnahme der westlichsten Gebiete in Tirol und Vorarlberg dauerte rund 25 Jahre. In Deutschland ist die Ausbreitung noch voll im Gang. Die östlichen Bundesländer sind bereits grossflächig vom Fischotter bewohnt und die aktuelle Verbreitungsgrenze zieht sich durch die Mitte Bayerns über Hessen und Teile Nordrhein-Westfalens bis nach Niedersachsen, der Südwesten ist noch otterfrei. Die Schweiz steht erst am Anfang, wobei die Voraussetzungen hier etwas anders sind als in Österreich oder Bayern. Hierzulande sind Teichwirtschaften viel weniger stark verbreitet, welche sowohl ein Treiber der Otterpopulationen als auch eine Konfliktquelle sind.
In Österreich sind inzwischen fast alle Regionen besiedelt. Der Bestandesanstieg seit Mitte der 1980er-Jahre war rasant.
Verbreitung im Kofferraum?
Die Erfolgsgeschichte bei der Rückkehr des Otters, ausgehend von kleinen Restbeständen, befeuert viele Gerüchte und Verschwörungstheorien. Es könne doch nur ein aktives Aussetzen zu diesem Comeback geführt haben, heisst es immer wieder. Zumindest für Österreich ist sich Clemens Ratschan sicher, dass es keine systematische Auswilderung von Ottern gegeben hat. Freilich ist nicht auszuschliessen, dass vereinzelt Jungtiere aus privaten Haltungen entlassen wurden. Auch die Berner Otterpopulation an der Aare entstammt nachweislich zumindest teilweise von Zootieren, die bei einem Hochwasser 2005 entkommen sind. Einmal in der Wildbahn, vermehren sich die Tiere, wie es in ihrer Natur liegt. Man weiss von besenderten Ottern, dass sie in einer Nacht bis zu 50 km zurücklegen können. Aus ihrer Dissertation weiss Irene Weinberger (siehe Interview) zu berichten, dass weibliche Otter etwa sechs bis acht Kilometer und Männchen im Schnitt rund 17 km pro Nacht zurücklegen. So hat ein Otter im Rahmen ihrer Telemetriestudie (Überwachung der Bewegungen) alle paar Monate hunderte Höhenmeter überwunden, um Weibchen in benachbarten Revieren zu besuchen. Grosse Flüsse stellen naturgemäss keine Barrieren, sondern im Gegenteil Ausbreitungsachsen dar.
Der Fischotter ist kein Kormoran
Wie es schon von anderen «Problem-Arten» bekannt ist, führt diese Rückkehr zu Konflikten. Bevor wir uns näher mit diesen beschäftigen, ist es wichtig, ein paar Grundlagen zu klären. Beim Fischotter handelt es sich um eine territoriale Art. Ähnlich wie ein Hechtbestand, kann auch eine Otterpopulation nicht beliebig wachsen oder durch Besatz gesteigert werden, sondern wird durch innerartliche Wechselwirkungen reguliert. In einem typischen Fliessgewässernetzwerk umfasst das Revier eines Männchens etwa 10-15 km Hauptgewässer plus Zubringern, andere Männchen werden hier nicht geduldet. Die Reviere der Weibchen sind etwas kleiner und überschneiden sich mit jenen der Männchen. In Teichlandschaften oder bei sehr hoher Nahrungsverfügbarkeit können die Reviere auch kleiner sein. Sie werden durch an auffälligen Stellen platzierten Kot markiert. Kormorane hingegen, deren saisonales Auftreten als Zugvogel einer hohen Dynamik unterliegt, nutzen äusserst mobil europaweit Lebensräume und Nahrungsgrundlagen. Im Gegensatz dazu wird der Bestand an Fischottern ganzjährig durch lokale Faktoren bestimmt, also Territorialität und vor allem die Tragfähigkeit des Lebensraums. Die Befürchtung, dass sich die Otterbestände mangels Spitzenregulatoren wie Wolf oder Bär bei fehlender Bejagung ins Unermessliche steigern würden, entbehrt also einer biologischen Grundlage. Regulierend können allenfalls Katastrophen wie extreme Hochwasser oder strenge Winter wirken, so wie auch der Strassenverkehr, dem immer wieder Otter zum Opfer fallen. Die Otter-Population der gesamten Schweiz umfasste ums Jahr 1900 schätzungsweise 1000 Individuen.
Knackpunkt Frassdruck
Otter zeigen bezüglich ihres Lebensraums eine erstaunliche Flexibilität. Sie nutzen nicht nur Bäche, die man als «klassischen Lebensraum» vor Augen hat, sondern auch mittlere und grosse Flüsse, Teiche, Seen und sogar Meeresküsten. Als Nahrung dient hauptsächlich Fisch fast aller Arten und Grössen. Zeitweise können auch andere Nahrungsquellen grössere Anteile einnehmen, etwa Krebse, Amphibien, Jungvögel oder Nagetiere. Der tägliche Nahrungsbedarf eines Otters wird mit etwa 12 bis 15 % der Körpermasse angegeben, reicht also von etwa 0,7 kg bei einem 6 kg schweren Weibchen und bis zu etwa 1,35 kg bei einem ausgewachsenen Männchen mit 9 kg. Im Winter ist der Energieverbrauch und somit der Bedarf höher als im Sommer. Tritt der Otter auf, ändert sich das Verhalten der Fische, weiss Clemens Ratschan aus Österreich zu berichten. Sie werden merklich scheuer und flüchten bei der geringsten Störung, was die Ausübung der Fischerei erschwert. Die gute Nachricht dabei ist, dass wilde Forellen offensichtlich rasch wieder lernen, wie sie mit dem «neuen alten» Fressfeind umzugehen haben. Im besten Fall können die Wildfische noch in guter Zahl vorhanden sein, auch wenn der Eindruck entsteht, dass der Bestand eingebrochen sei. Sie stehen verstärkt in den Einständen und verstecken sich. Elektroabfischungen geben hierzu die exaktesten Aufschlüsse. Wenn sich die Fischentnahme durch Prädatoren der Ertragsfähigkeit des Gewässers nähert, kommt es zu Überfischungsphänomenen. Im Fall einer Präsenz von Fischottern werden in Forellenbächen typischerweise grössere Exemplare seltener und vor allem über den Winter geht der Fischbestand stark zurück. Jungforellen sind vom Fischotter weniger betroffen und können in Gewässern mit erfolgreicher Naturverlaichung sogar profitieren, da der Kannibalismus durch Grossforellen abnimmt. Es gilt jedoch zu bedenken, dass gerade grosse Forellen als besonders wertvolle Laichtiere gelten: Fehlen diese und bricht der Laichtierbestand generell ein, so geht auch die verfügbare Eizahl stark zurück. Dann tritt ein Zustand ein, bei dem die Vermehrung abnimmt und alle Altersstadien massiv zurückgehen.
Aktuelle Nachweise des Fischotters in der Schweiz 2021. Grafik: Pro Lutra und CSCF, 2021
Auswirkungen der Otterpräsenz
Clemens Ratschan schätzt die Situation folgendermassen ein: Starke Auswirkungen für die Fischerei – also speziell ein massiver Rückgang fangfähiger bis grosser Forellen – können vor allem in kleineren Bächen und Oberläufen eintreten. Ganz besonders dann, wenn sie strukturarm, stark durch Querbauwerke fragmentiert und von grösseren Gewässern abgetrennt sind. Ähnliche Auswirkungen gibt es auch an naturnahen Bächen und Flüssen, wenn bereits ein starker Druck durch fischfressende Vogelarten besteht. Addiert sich die Entnahme durch die Prädatoren und ist das «Herauswachsen» aus einer gefährdeten Körpergrösse nicht mehr in ausreichender Zahl möglich, so kann das in der Summe zu sehr deutlichen Auswirkungen führen. Häufig hört man, dass der Fischotter Bäche und Flüsse «leer fressen» würde. Nun, das machen Otter gelegentlich bei Forellenteichen, die auf sie wohl ähnlich einladend wirken wie Hühnerställe mit offenstehender Tür auf Füchse. Zwar ist Clemens Ratschan kein einziges Beispiel bekannt, in dem ein Fliessgewässer durch den Otter effektiv fischfrei wurde, doch der Otter kann einen Fischbestand so stark dezimieren, dass dieser kaum mehr fischereilich nutzbar ist. In grossräumig vernetzten und breiteren Flüssen der Barbenregion mit gutem Bestand von Beifischarten oder auch in Bächen mit intaktem Lebensraum ohne wesentliche Fischentnahme durch Vogelarten, kann es hingegen durchaus sein, dass sich nach der Rückkehr des Otters gar kein merklicher Effekt auf den Fischbestand ergibt. Die Fischentnahme innerhalb eines Otterterritoriums ist in diesen Fällen wesentlich geringer als die Ertragsfähigkeit. Seine Anwesenheit bleibt in solchen Gewässern oft über viele Jahre unbemerkt. Mit der Präsenz des Otters kaum vereinbar sind hingegen fischereiliche Praktiken wie Put & Take-Gewässer, Attraktivierungsbesatz mit kapitalen Fischen und dergleichen. Otter erbeuten Besatzfische mit Leichtigkeit – was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Beruht die Bewirtschaftung eines Gewässers auf solchen Besatzmethoden, muss sie sich beim Auftreten von Fischottern auch bei günstigen Lebensraumkriterien auf herbe Verluste einstellen.
Weitere an der Aare bei Bern gefilmte Fischotter auf YouTube.com.
Forellensituation der Schweiz
Die Fischpopulationen der grösseren Mittellandflüsse wie Aare, Rhein oder Reuss und deren Zubringer mit einem guten Aufkommen an nichtgefährdeten Weissfischarten dürften den Otter also gut verkraften können. Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Fliessgewässer bilden jedoch kleine Bäche, welche von der Bachforelle als Leitart und allenfalls noch von Groppen, Bachschmerlen und weiteren Kleinfischarten bewohnt werden. Hier dürfte ein Auftauchen des Otters einen bemerkbaren negativen Einfluss auf die fischereiliche Nutzbarkeit haben. Kommt hinzu, dass die Situation der Schweizer Gewässer bereits angespannt ist. Leider gibt es in der Mehrzahl der Gewässer auch ohne Fischotter schon eine rückläufige Entwicklung der Fischbestände. Gute Forellenbestände nach heutigem Massstab sind auf hervorragende Gewässergüte sowie auf eine sehr restriktive Entnahmepraxis und intensive Gewässerhege durch die Fischer angewiesen. Mit einem weitgehenden Verzicht auf Ertrag lassen sich in der Schweiz trotz Intensivierung der Landwirtschaft, Ausbau der Wasserkraftnutzung, Erwärmung sowie verstärkte Hoch- und Niederwasser durch den Klimawandel und so weiter nach wie vor eigentlich fragile Bestände erhalten. Wenig erstaunlich also, dass Fischerei-Pachtgemeinschaften ein Auftauchen des Otters in ihrem Revier kaum begrüssen und als Gütesiegel des Fischbestands betrachten dürften. Auch wenn seine Daseinsberechtigung unbestritten ist, dürfte sein Auftauchen die Effekte vorhandener Defizite der Lebensräume auf die Fische nochmals zusätzlich verstärken.
Artenschutz im Konflikt
Besonders brenzlig wird es, wenn eine geschützte und vom Aussterben bedrohte Fischart direkt vom Otteraufkommen betroffen ist. Dies zeigt sich in Österreich und Bayern beim mit viel Aufwand gehegten und gepflegten Huchen. Man würde es nicht für möglich halten, aber Otter versuchen sich an Fischen bis deutlich über einen Meter Länge, sei es aus Spieltrieb, Unerfahrenheit oder Mangel an alternativer Beute. Bei den wenigen noch erhaltenen Beständen sind massive Flossenschäden bei einer besorgniserregend hohen Zahl an Huchen zu beobachten. Aufgrund der Form der Verletzungen sind diese nur mit Otterattacken zu erklären. Diese Spuren an Fischen fehlen im westbayerischen Huchen-Verbreitungsgebiet (Lech und Iller), wo sich die Wiederbesiedelung der Otter noch nicht vollzogen hat. Wenn es sich um eine stark gefährdete Art mit grosser Bedeutung handelt, ist das ein besonders unerträgliches Dilemma. Es gibt deutliche Auswirkungen der Otter auf die Huchenbestände – speziell auf die kleineren bis mittelgrossen Exemplare. Diese gehen leider vielerorts zeitgleich mit der Ankunft des Otters auffallend stark zurück. Es drängt sich also der Schluss auf, dass es nicht bei erfolglosen Attacken und abgebissenen Flossenstücken bleibt, sondern ein relevanter Teil der Huchenpopulationen von den Ottern erbeutet wird. Angesichts der schon bisher sehr dramatischen Situation ist zu befürchten, dass dies zu einem ernsthaften Problem für den Artenschutz führt. Beim Huchen handelt es sich ebenfalls um eine europarechtlich geschützte und sogar hochgradig gefährdete Art, allerdings mit weit kleinerer Verbreitung als jene des Fischotters. Ähnliche Verhältnisse gibt es bei dem ebenfalls geschützten Atlantischen Lachs in Skandinavien, wo derzeit ebenfalls eine Ausbreitung des Fischotters stattfindet. Lachse und Meerforellen können dort in einem gewissen Mass auf den Otterdruck reagieren, indem sie ihr Verhalten anpassen. So werden sie beispielsweise scheuer, stehen tiefer, oder verweilen kürzer im Laichfluss. In stark beeinträchtigten Flüssen Mitteleuropas stehen solche Optionen deutlich weniger zur Verfügung als in intakten Gewässersystemen des Nordens. Der Erfolg umfangreicher Anstrengungen zur Wiederansiedelung der Wanderfische könnte durch den zusätzlichen Faktor Otter erschwert werden. Steigen die grossen Salmoniden in kleine Laichgewässer, so sind sie ihnen dort recht schutzlos ausgeliefert. In Deutschland sind grosse Meerforellen mit Otterverletzungen dokumentiert. Ein Schutz durch die schiere Menge aufgestiegener Fische, wie dies im Naturzustand gegeben war, ist heute nicht mehr gegeben. Auch Restbestände anderer (stark) gefährdeter Arten könnten so in die Bredouille kommen. In der Schweiz trifft das auf die Nase, Äsche und Seeforellen zu.
Keine simplen Lösungen
Bei der Otterdebatte in Österreich sind Patentrezepte schnell zur Hand. Vonseiten der Otterfreunde klingt es etwa so: Man müsse nur die Gewässer renaturieren, mit dem Fischbesatz aufhören und alle Fischteiche zäunen, und schon sei das Problem gelöst. Ausserdem frisst der Otter doch nur die kleinen Fische, und am Fischrückgang sind ganz andere Dinge schuld. Doch die Anstrengungen zur Sanierung der teils gravierend beeinträchtigten Lebensräume bedürfen Zeiträumen von vielen Jahren bis Jahrzehnten. Wobei ein naturnaher Zustand unter den heutigen Umständen (Wasserkraftwerke, Hochwasserschutz, Infrastrukturen und Landnutzung) in vielen Fällen gar nicht mehr erreichbar ist. Und sogar die naturbelassensten Gewässer Mitteleuropas sind heutzutage vor deutlichen Fischrückgängen nach der Rückkehr von Fressfeinden nachweislich nicht mehr gefeit. Um unsere Gewässer steht es so schlecht, dass deren Tragfähigkeit für die verschiedensten Fischprädatoren, einschliesslich des Menschen, nicht mehr gewährleistet ist. Auch vonseiten der Fischerei stellt man sich die Lösung etwas zu einfach vor: Man entnimmt einen Teil der Otter und alle sind glücklich. Leider ist das bei einer territorialen Art nicht ganz so einfach. Einzelne entnommene Tiere werden aus Nachbarrevieren rasch ersetzt. Das Bejagen von Ottern mit zugelassenen Methoden gestaltet sich nicht einfach und bedarf eines hohen Aufwands. Nach hartem Ringen genehmigte Entnahmezahlen können in der Praxis meistens nicht umgesetzt werden. Es besteht die Sorge, dass eine geschützte Art schon kurz nach ihrer Rückkehr wieder ausgerottet werden soll. Solchen Bedenken sollte man mit Verständnis begegnen, wenn ein Interesse an Lösungen besteht.
Verhärtete Fronten vermeiden
Bisher wurde es in Österreich grösstenteils versäumt, ein vernünftiges Miteinander zu entwickeln. Das mag an Enttäuschungen der Akteure auf beiden Seiten liegen. Häufig werden sowohl die Interessen der Fischerei als auch die des Naturschutzes durch Wortführer vertreten, die im Streit um andere Prädatorenarten offensichtlich schon viele Federn lassen mussten. Im Grunde genommen geht es dann vielmehr um die Bewältigung vergangener Konflikte als um die erfolgreiche Entwicklung möglicher Kompromisse. Inzwischen sind hier die Fronten verhärtet. Auf der einen Seite werden illegale Tötungsmethoden entwickelt und auf der anderen Seite werden in der öffentlichen Meinung Bilder und Argumente verankert, die auch längerfristig eine zielführende Debatte erschweren. Sehr viel Energie fliesst in Rechtsstreitigkeiten zwischen Naturschutz- und Fischereiverbänden. Das ist sehr schade, denn diese Zeit und das Geld wären im Artenschutz oder der Bündelung der Kräfte zum Gewässerschutz wesentlich besser angelegt. Vor einer solchen Eskalation und einer Spirale der Mobilisierung mit immer drastischeren Meldungen und Kampagnen rät Clemens Ratschan dringend ab. Das verbaut einerseits den zivilisierten Umgang miteinander und andererseits zieht die Fischerei dabei angesichts der Kräfteverhältnisse oft den Kürzeren. Bei den Behörden führen in erster Linie gut erhobene Zahlen, Fakten und sachliche Argumente zum Erfolg. In Österreich laufen derzeit Pilotprojekte, im Zuge derer Otter entnommen werden, und parallel dazu die Entwicklung der betroffenen Fischbestände beobachtet wird. Anhand dieser Ergebnisse sollen Regeln für einen «Dauerbetrieb» festgelegt werden. Das Comeback des Fischotters kann man zum Anlass nehmen, sich erst recht für den Schutz und Erhalt natürlicher und gesunder Wasserlebensräume einzusetzen. Doch wir können nicht mehr zurück zum von Menschen unbesiedelten Naturzustand voller Auenlandschaften und verloren gegangenen Lebensräumen mit einer vielfach höheren Tragfähigkeit. Das ist die heutige Realität, die alle Akteure akzeptieren müssen. Um daraus das Beste zu machen, braucht es einen kompromissfähigen Diskurs.
Kurzinterview
Irene Weinberger, Pro Lutra
Irene Weinberger ist Expertin für Fischotter und leitet die Geschäftsstelle der Stiftung Pro Lutra, die sich für den Fischotter in der Schweiz und im benachbarten Alpenraum einsetzt (prolutra.ch).
Warum mögen Sie den Fischotter?
Für mich ist der Fischotter eine sehr spannende Art. Nur schon seine Geschichte in den letzten 150 Jahren ist faszinierend: Verfolgung, Schutz, Rückkehr. Der Fischotter steckt voller Überraschungen. Man hat ihn als Jäger überschätzt und in seiner Anpassungsfähigkeit unterschätzt. Er ist ein Einzelgänger und er hat trotzdem ein grosses Repertoire an Rufen. Mir gefallen diese Gegensätze und auch die gesellschaftlichen Fragen, die die Rückkehr dieses Tieres mit sich bringen.
Ist es möglich, dass dereinst wieder um die 1000 Fischotter in der Schweiz leben?
Nein, daran glaube ich leider nicht. Unsere Gewässer wurden seit dem 19. Jahrhundert stark verändert, man hat begradigt, gestaut und Auengebiete trockengelegt. Viele Fischgründe gingen dadurch verloren und damit nahm auch die Hauptnahrung des Fischotters stark ab. Auch die Zukunft des Fischotters hängt von den Fischen ab – und diese sieht derzeit nicht allzu rosig aus.
Ist der Otter ein «zweiter Kormoran»?
Nein. Allein dadurch, dass der Fischotter ein territorialer Einzelgänger ist, unterscheidet er sich von dem hochmobilen und teilweise in grossen Schwärmen vorkommenden Kormoran. Der Fischotter kann es sich schlicht nicht leisten, den Fischbestand in seinem Territorium zu übernutzen. Er ist vielmehr auf einen gesunden, sich reproduzierenden Fischbestand angewiesen.
Werden Fischotter auch aktiv eingesetzt (Wiederansiedlungsprojekte)?
In der Schweiz werden keine Fischotter ausgewildert. Zwar gab es ein Wiederansiedlungsprojekt in den 1970er-Jahren am Schwarzwasser, das allerdings erfolglos war. Heute hingegen gilt, dass die Art auf eigenen Pfoten zurückkehren soll.
Haben Otterfreunde auch Verständnis für gefährdete Fischarten?
Ich hoffe es sehr. Der Verlust der Biodiversität geht uns alle an – egal, welchen Hintergrund und Interessen wir haben. In der Schweiz sind fast 60% der Fischarten auf der Roten Liste. Der Grund ist der Mensch, niemand sonst. Mit dem Fischotter kehrt zwar ein Jäger zurück, doch ist auch er auf naturnahe, durchgängige und von Giften unbelastete Gewässer angewiesen – genau wie die Fische. Da ziehen die Otterfreunde durchaus am selben Strick wie Fischfreunde.
Kurzinterview
Andrea Baumann, Amt für Jagd und Fischerei Graubünden
Andrea Baumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Amts für Jagd und Fischerei des Kanton Graubünden. Er ist zuständig für das Monitoring der Fischotterpopulation.
Wieviele Fischotter leben inzwischen schätzungsweise im Kanton Graubünden?
Im Engadin konnten wir mit Gen-Analysen bisher drei verschiedene Individuen nachweisen: zwei Männchen und ein Weibchen. Daneben sind wir in den vergangenen Jahren aber auch am Alpen- und Hinterrhein sowie in der unteren Albula auf Spuren des Fischotters gestossen. Um wie viele Tiere es sich insgesamt in Graubünden handelt, ist unklar.
Woher stammen diese Otter?
Die Fischotter bei uns stammen vermutlich aus Rest-Populationen im Osten, die sich dank den europaweiten Schutzbestimmungen langsam wieder nach Westen hin ausbreiten konnten. Als Ausbreitungsachse von Osten her spielt der Inn eine wichtige Rolle.
Hat das Auftreten der Fischotter einen feststellbaren Effekt auf die betreffenden Fischbestände?
Das wissen wir (noch) nicht. Unsere Fangstatistikdaten zeigen, dass der Fangerfolg insbesondere bei den Äschen im Engadin seit einigen Jahren zurückgeht. Die Palette an möglichen Ursachen ist gross. Welche Einflussfaktoren für einen allfälligen Bestandesrückgang verantwortlich sind, wird aktuell im Rahmen einer breit angelegten Studie untersucht. Dabei wird auch die Rolle des Fischotters als mögliche Einflussgrösse auf den Äschenbestand im Oberengadin beleuchtet.
Wie reagiert die Bündner Fischereibasis auf den Otter?
Die Fischerbasis in Graubünden ist diesbezüglich sehr aufgeschlossen. Sie hat erkannt, dass der Fischotter auf gesunde Fischbestände angewiesen ist, um überleben zu können. Damit steht er symbolisch für ein gemeinsames Ziel: möglichst natürliche und vielfältige Gewässerlebensräume. Mit dieser offenen Haltung versucht die Bündner Fischerbasis die Kräfte für den Schutz der Gewässer in Graubünden zu bündeln. Dies zeugt von fachlicher Weitsicht und politischem Fingerspitzengefühl. Denn wie Clemens Ratschan über seine Erfahrungen aus der Fischotter-Debatte in Österreich richtig mahnt: «Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte …».
Ausgehend von den Erfahrungen in Österreich rät uns Clemens Ratschan:
- Eine möglichst gute Dokumentation der Situation vor Ankunft des Fischotters durch Ausfanglisten und quantitative Bestandeserhebungen (Elektrofischerei) sicherstellen.
- Die fischereiliche Bewirtschaftung nach ökologischen Kriterien gestalten. Also weg vom Besatz mit Massfischen und dergleichen.
- Die Entwicklung einer Fischerei, die sich nicht an Stück und Kilogramm entnommener Fische orientiert, sondern am Naturerlebnis.
- Sich darauf einstellen, dass der Weg bis zu einem Management von Otterbeständen ein langfristiger sein wird. Währenddessen gilt es, an den zahlreichen weiteren Herausforderungen dranzubleiben (Renaturierungen, Wasserkraftnutzung, fischfressende Vögel, Klimawandel usw.).
- Pilotprojekte zur Untersuchung der Auswirkungen und Möglichkeiten für ein Otter-Management anstossen. Dabei ist Qualität und Objektivität entscheidend, damit von allen Seiten akzeptierte Antworten möglich sind.
- Trotz der Zielkonflikte die Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden intensivieren und persönliche Allianzen zwischen Fischerei- und Naturschutzvertretern schmieden. Nicht wenige Vertreter dieser NGOs sind selbst praktizierende Fischer!
- Der Schutz der Lebensräume ist grundsätzlich wichtiger als der Otter. Denn: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte …
3 Kommentare
Peter w | 21 | 06 | 2021 |
Der futtermangel wird dem Fischotter schwer zu schaffen machen und er wird sich kaum halten können.
Urs Bollier | 16 | 08 | 2022 |
Der Fischotter in unsere Bäche und Flüsse wieder anzusiedeln wäre eine Katastrophe für unser magerer Fischbestand. Am Schluss können wir nur noch Mölche und Frösche fangen. Meine Fischerruten am besten dann entsorgen.
Gruss von einem begeisterten Hobbyfischer.
Martin
Nicht nur der Otter wurde ausgerottet. Auch Steinadler, Wolf, Bär, Aale und auch Trüschen hatten einen schlechten Ruf. Während man bei den Fischen nun eingesehen hat, dass sie nicht nur Laichräuber sind und alles leer fressen, hat man auch beim Steinadler herausgefunden, dass er keine Kinder frisst. Der Bär kann in der Schweiz ruhig ausgestorben bleiben, zu gross wären seine Revieransprüche und die Konflikte mit dem Mensch unvermeidbar. Auch Graureiher sind kein Problem. Das einzige Problem in meinen Augen, sind die Kormorane, da diese extrem tief tauchen können und ca. 500 g Fisch pro Tag benötigen. Die Fische können sich teilweise nicht in die Tiefe flüchten und so können wirklich ganze Seen und Flüsse von diesen Vögeln leer gefressen werden. Aber für ein paar Otter wird es wohl noch Platz und ein paar Fische übrig haben.