Fangdruck
13 | 02 | 2019 DiversesText: Steff Aellig | Illustrationen: Patrick Stieger 04110
13 | 02 | 2019 Diverses
Text: Steff Aellig | Illustrationen: Patrick Stieger 0 4110

Fangdruck

Ich bin immer wieder erstaunt, was für falsche Bilder in der nicht-fischenden Gesellschaft über unsere Leidenschaft rumgeistern. «Wow, das ist sicher Entspannung pur. Am Wasser sitzen, in die Ferne schauen und warten, bis ein Fischlein anbeisst. Da kannst du so richtig runterfahren.» Solche Sätze höre ich immer wieder. Es ist an der Zeit, mit diesen falschen Vorstellungen aufzuräumen.

Beim Fischen gehts mehrheitlich um Leistung. Das Leistungsmotiv ist – neben Macht und neben Anschluss – eine der zentralen Triebfedern menschlichen Handelns. Übertragen auf meine Angelsucht heisst das: Ich gehe selten absichtslos aufs Wasser. Die Freude an der Natur, am Bootfahren oder am Zusammensein mit den Kumpels ist ein Nebeneffekt – wenn auch ein erwünschter. Bei mir dreht sich alles um das eine: Erfolg haben. Und das heisst: Fische fangen. Erfolg zeigt sich immer auch im sozialen Vergleich: Ich will mehr Fische fangen als die anderen – und vor allem die grösseren (siehe dazu die entsprechende Rubrik in diesem Heft). Was sich da unter Fischern auf dem Wasser an Dynamik aufbauen kann, lässt sich mit einem einzigen Wort beschreiben: Fangdruck.

Gerade jetzt, wo die Felchensaison begonnen hat, ist Fangdruck ein regelmäs­siger Zaungast. Von weitem sieht das Ganze ja sehr idyllisch aus: Die vielen Boote, die dicht an dicht über den bekannten Felchen-Hotspots auf dem Wasser liegen; die Kumpels in ihren Stühlen, ganz entspannt, die feine Rute locker in der Hand. Ganz im Einklang mit sich und der Welt. Doch der Schein trügt. Im Pulk der Felchenfischer herrscht oft stiller Psychoterror. Es gibt Felchenfischer, die fangen auch dann, wenn die Felchen nicht beissen. Und dann gibt es jene, die fangen auch dann nicht, wenn die Felchen beissen. Zwischen diesen beiden Gruppen knistert das Kompetenzgefälle wie Hochspannungsleitungen in der Februarkälte. Ich muss mich – zähneknirschend – eher zur zweiten Gruppe zählen. Denn mir fehlt das sogenannte «Chrottenhaar am Arsch», wie es mein Kumpel Fabio auszudrücken pflegt. Das ist eine Art Talent, die Fische durch die Wassersäule hindurch zu spüren und intuitiv das Richtige zu machen, damit der Biss kommt.

Du glaubst es jetzt vielleicht nicht: Ein Felchentag ohne einen einzigen Biss kann mir mehrere Nächte mit massiven Schlafstörungen bescheren. Richtige Trauma-Symptome sind das. Ganz schlimm. Vor allem an Tagen, wo alle Zeichen auf Fangen stehen und das Echolot Sicheln ohne Ende anzeigt. Meine Kumpels Jahn und Pepe sitzen entspannt im Boot neben mir und drillen immer wieder ein prächtiges Exemplar hoch. Nur bei mir: Kein Rupf. Dafür Fangdruck, stark zunehmend. Aus Mitleid gibt mir Pepe sogar seine top fängige Hegene rüber. Nützt nichts. Irgendwas mache ich anders, mache ich falsch. Die ganze Lockerheit ist verflogen. Der Fangdruck wird zum Zwang. Ich brauche einen Biss! Aber je mehr ich mich versteife, desto weniger krieg ichs hin. Da hilft es auch nichts, wenn Jahn mir am Ende des Tages die Hälfte seines Fangs abgibt. Wie heisst es so schön: Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint. Es geht nicht um die Fische aus Fleisch und Blut. Hier geht es einzig um das Kompetenzerleben – in meinem Fall ums Erleben meiner Inkompetenz.

Und genau deshalb ist Fischen ein Sport: Wegen des Leistungsmotivs und des Fangdrucks. «Das Bisschen Arm hoch und wieder runter soll Sport sein?», lacht Fischers Frau jeweils milde. «Es geht nicht um die Armbewegung», versuche ich ihr immer zu erklären, «das ist wie bei dir auf dem Volleyball-Feld. Du gehst auch nicht in die Halle, um den Ball hin und her zu spielen, sondern um zu punkten, oder?» Diese Sprache versteht sie. Und seither habe ich einen genialen Trick, um einfacher aufs Boot abhauen zu können. Statt zu sagen: «Schatz, ich geh am Sonntag mal wieder angeln, ok?», heisst es jetzt – ganz sportlich: «Ich muss trainieren, sonst komm ich aus der Übung und seh wieder alt aus bei den Kumpels!»


Steff Aellig ist Psychologe und arbeitet als Wissenschaftsjournalist. In seiner Kolumne schreibt er über die Abgründe seiner Angel-Sucht – und findet heraus, was ihn in seinem Alltag als Ehemann und dreifachen Familienvater alles daran hindert, diese Sucht auszuleben.

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