Die Gründung der IGFA und das Ende des Anglerlateins
11 | 01 | 2024 DiversesText: Hansjörg Dietiker | Markus Bötefür | Nils Anderson 03100
11 | 01 | 2024 Diverses
Text: Hansjörg Dietiker | Markus Bötefür | Nils Anderson 0 3100

Die Gründung der IGFA und das Ende des Anglerlateins

Die «International Game Fish Association» (IGFA) ist der 1939 gegründete Weltverband der Sportfischer. Er hat eine bewegte und spannende Geschichte. Jedermann kann mit einem bescheidenen Jahresbeitrag Mitglied werden. Aber was hat das mit Anglerlatein zu tun?


Im Mittelalter hausten Seeungeheuer wie Riesenkraken, Schildkröten so gross wie Häuser und Wale so gross wie Inseln in den Weltmeeren. Zumindest in der Überlieferung. Der Mensch hat seit jeher ein Faible für Übertreibungen und gerade das unfassbar grosse Meer und seine Bewohner regten die Fantasie schon immer an. Und bis vor etwa hundert Jahren konnte man getrost von Riesenfischen erzählen, die in jenem See oder diesem Fluss gesehen oder gar gefangen worden seien – Angler­latein eben. Es gab nur ausnahmsweise Aufzeichnungen und Fotos waren teuer und aufwendig.

Mit der Gründung der IGFA änderte sich die Situation allmählich. Seither gelten verbindliche Regeln und Kontrollen für Rekordfänge in der Welt der Hobby­fischerei.

Bei der durch Michael Lerner angeregten Gründung im Jahr 1939 waren nur wenige Anglerenthusiasten dabei. Unter anderem aber Tausendsassa und Nobelpreisträger Ernest Hemingway, der noch heute wie kein zweiter den Typus des weltgewandten Abenteuer-Anglers verkörpert. Am Vorabend des zweiten Weltkriegs jedoch leider keine Europäer.

 Michael Lerner,  Visionär, Gründungsmitlglied und erster Präsident der IGFA. © IGFA

Michael Lerner, Visionär, Gründungsmitlglied und erster Präsident der IGFA. © IGFA


Regeln für die Anerkennung von Rekordfängen

Letztlich ging es einem kleinen Teil der Gründungsmitglieder um den Schutz der weltweiten Fischbestände, doch standen verbindliche Regeln bei der Festlegung von Rekordfischen im Vordergrund. Zwar waren Rekordlisten und Fischhitparaden nichts Neues, sondern wurden bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts von US-Angelzeitschriften wie «Field and Stream» und «Outdoor Life» geführt, doch fehlten verbindliche Regeln für die Anerkennung von Rekordfischen. In den Anfangsjahren konzentrierte sich die IGFA daher hauptsächlich auf die Festlegung von Regeln und Standards für das Angeln auf bestimmte Fischarten.

So sollten Fische gleicher Grösse, die mit unterschiedlich schwerem Gerät erbeutet wurden, auch unterschiedlich bewertet werden. Bereits vor der Gründungsversammlung hatten sich einige Big-Game-Angler um Ernest Hemingway dazu Gedanken gemacht. Sie standen aber recht bald vor dem Problem, dass es noch keine Angelschnur mit einheitlicher Kalibrierung, geschweige denn Tragkraftgarantie, gab. Ende der 1930er-Jahre hatte die Angelgeräteindustrie – vor allem seit der Erfindung von Nylonschnüren – dieses Problem weitgehend gelöst, sodass man Schnurklassenrekorde ins Auge fassen konnte. Die verschiedenen Schnurklassen ermöglichten eine Abstufung für dieselbe Fischart, und so wurden Klassifizierungen für 12-lb, 20-lb, 30-lb, 50-lb, 80-lb-, 130-lb-, 180-lb- und All-Tackle-Schnurklassen eingeführt. Mit der Lösung dieses Problems war ein anderes aber nicht vom Tisch: Um die Rekordwerte eines Fischs zu ermitteln, war es damals nötig, ihn zu töten. Damit waren einige Angler nicht einverstanden; und so entstand eine Diskussion um die faire Behandlung gefangener Fische. Während einige Fischer bereits in den 1930er-Jahren für ein konsequentes Zurücksetzen gefangener Marline plädierten und dies auch praktizierten, liessen sich andere sehr gern mit ihrer Beute fotografieren. Doch gerade in den USA hat Catch & Release mittlerweile einen solchen Stellenwert, dass man von der Gewichtserfassung der gefangenen Fische abkam und die Fische nur noch nach Länge gemessen werden.

 «Size matters!» Ernest Hemingway (2. v. r.) mit Trophäen-Fang auf seinem legendären Boot «Pilar». © IGFA

«Size matters!» Ernest Hemingway (2. v. r.) mit Trophäen-Fang auf seinem legendären Boot «Pilar». © IGFA


Wer hat den Grössten?

Doch nicht nur an der Frage von Catch & Release schieden sich die Geister. Notorisch geltungssüchtigen Anglern wie Hemingway war es ein Dorn im Auge, dass ihnen erfolgreiche Anglerinnen wie Helen Lerner die Show stahlen. Helen war nämlich kein blosses Anhängsel ihres steinreichen und weltweit angelnden Mannes, sondern nahm selbst im Kampfstuhl Platz, wenn es darum ging, Schwertfische vor der Küste Perus zu bezwingen, sich am Great Barrier Reef mit Schwarzen Marlinen anzulegen, die Thunfischreviere vor der ostkanadischen Küste zu erschliessen oder in den Gewässern der Bahamas Blaue Marline zu fangen. Als erfolgreiche Anglerin genoss sie hohes Ansehen in der US-amerikanischen Angelszene.

Während für Helen Lerner kein Fisch gross genug sein konnte, war ihr Mann Mike auch daran interessiert, sein Wissen, seine Fähigkeiten und nicht zuletzt auch sein Geld in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Im Auftrag der Wissenschaft angelte er an den entlegensten Orten der Welt auf die kuriosesten Fische. Mit seinen wissenschaftlichen Interessen stand der Multimillionär in den 1930er- und 1940er-Jahren allerdings auf einem recht einsamen Posten. Den meisten der frühen Grossfischanglern in der IGFA ging es nämlich weniger um den langfristigen Schutz ihrer Zielfische, sondern darum, möglichst fette Beute zu machen und mit ihr zu prahlen. Wie wenig sich Hemingway um Waidgerechtigkeit scherte, berichtete einer seiner Freunde einige Jahre nach dem Tod des Literaturnobelpreisträgers: «Die Marline an den Haken zu bekommen, war einfach. Aber wir zogen oft nichts weiter als Kopf, Schwanz und Rückgrat aus dem Wasser. Die Haie waren wie Piranhas. Hemingways Lösung war einfach und bestand darin, mit einer Tommy-Gun oder einer 45er-Automatik auf die Haie zu schiessen.»

Zwar war diese Methode recht brachial, doch stand Hemingway mit dieser Einstellung nicht allein da. Dies hat sich heute zwar grundlegend geändert, doch sind für die meisten Sportfischer die IGFA-Rekordlisten noch immer das Interessanteste an dieser Organisation. In ihr werden die jeweils grössten Meer- und Süsswasserfische geführt, die mit klassifiziertem Angelgerät gefangen wurden. Manche davon scheinen für die Ewigkeit dort festgeschrieben zu stehen, wie beispielsweise der im Jahr 1959 vor der australischen Küste gefangene Weisse Hai, welcher mit 1208,38 Kilogramm der noch immer grösste Fisch ist, der jemals nach IGFA-Regeln mit Rute und Rolle bezwungen wurde.

 Helen Lerner  war begeisterte Big-Game-Fischerin und über Jahre das «weibliche Gesicht» der IGFA. © IGFA

Helen Lerner war begeisterte Big-Game-Fischerin und über Jahre das «weibliche Gesicht» der IGFA. © IGFA


Die Mission

Man täte der IGFA aber Unrecht, würde man sie allein als eine Vereinigung rekordsüchtiger Angler betrachten, denn sie widmet sich gezielt dem Schutz der Meere, Fische und Ökosysteme. Ihre Mitglieder kümmern sich darum, Fischgründe zu erhalten und zu schützen, wobei sie eng mit Wissenschaftlern und politischen Institutionen auf der ganzen Welt zusammenarbeitet.

So weitete sie ihr Tätigkeitsfeld auf den Schutz der Fische und die Förderung des Angelns als Sport aus. Und es kamen weitere Ziele hinzu, um die Reichweite der Organisation zu vergrössern. Etwa Fisch-Markierungsprogramme oder Seminar- und Bildungssponsoring und die Unterstützung von Jugendlichen und Kindern. Die Botschaft stiess nicht auf taube Ohren, und innert kurzer Zeit vergrösserte sich der Kreis an Mitgliedern beträchtlich. Genau wie Präsident Elwood Harry (1975 - 1992) gehofft hatte, war die IGFA auf dem Weg, die globale Stimme der Fischer zu werden. Heute ist sie eine beinah weltweit tätige Organisation mit Mitgliedern in über 100 Ländern. Die IGFA arbeitet eng mit Wissenschaftlern, Anglern, Regierungsbehörden und der Industrie zusammen. So sponserte die IGFA 1984 die erste Weltangelkonferenz in Frankreich. Dies war die erste Konferenz, die sich ausschliesslich mit Fragen der Freizeitfischerei befasste und die Angel- und Wissenschaftsgemeinschaft zusammenbrachte. Die Bildungsprogramme basieren auf der Überzeugung, dass der Angelsport eine wichtige Freizeit-, Wirtschafts- und Sozialaktivität ist, über die die Öffentlichkeit aufgeklärt werden muss.


«Kein Schwertfisch auf der Speisekarte»

Um die Öffentlichkeit über die schwindende Zahl der Schwert­fische  (Billfish wie Marlin, Segelfisch, Schwertfisch) und die Bedeutung der Erhaltung dieser Arten zu informieren, startete die IGFA eine Briefkampagne mit dem Titel «Kein Schwertfisch auf der Speisekarte», in der Restaurants, Supermärkten und Fischhändlern die Tatsachen über den Rückgang der Schwertfischpopulationen erläutert wurden. Der Import gefährdeter Schwertfischarten innerhalb der Vereinigten Staaten musste gestoppt werden. In nur zwei kurzen Jahren gewann die Kampagne die Unterstützung von Koryphäen wie Wolfgang Puck und der Supermarktkette Wegmans – sowie die Aufmerksamkeit der US-Politiker. Diese Kampagne gipfelte in der Verabschiedung des Billfish Conservation Act von 2012.

 Das jährlich erscheinende Buch «Weltrekord-Meeresfische» war 1978 erstmals vollgestopft mit Farbfotos, Anzeigen und Leitartikeln, die von einigen der führenden Outdoor-Autoren der damaligen Zeit verfasst wurden. © IGFA

Das jährlich erscheinende Buch «Weltrekord-Meeresfische» war 1978 erstmals vollgestopft mit Farbfotos, Anzeigen und Leitartikeln, die von einigen der führenden Outdoor-Autoren der damaligen Zeit verfasst wurden. © IGFA


Fischereipolitik

Im August 2021 erhielt die IGFA die prestigeträchtige UNEP-Akkreditierung. Nie zuvor in der Geschichte hatten Freizeitangler weltweit eine Stimme und einen repräsentativen Beobachterstatus bei der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA). IGFA und UNEP entwerfen derzeit den Rahmen für eine langfristige Zusammenarbeit für Meeres- und Fischereischutzprojekte. Der Handlungsbedarf ist auch unübersehbar: Modernes Fischereimanagement ist ein komplexes und oft umstrittenes Thema. Viele Fischarten sind durch Lebensraumzerstörung und kommerzielle Überfischung gefährdet. Leider treten die Interessen der Freizeitfischerei noch viel zu häufig in den Hintergrund gegenüber kommerziellen Fischereipraktiken. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass Freizeitangler im Entscheidungsprozess des Fischereimanagements vertreten sind. Den Fischereimanagern muss gezeigt werden, dass die Freizeitfischerei ein wachsendes und dynamisches eigenständiges Unternehmen ist, das weltweit eine erhebliche Beteiligung und wirtschaftliche Auswirkungen hat. Von der Beseitigung zerstörerischer Fanggeräte bis hin zum Eintreten für ein nachhaltiges Fischereimanagement arbeiten die IGFA und ihr internationales Netzwerk leidenschaftlich daran, sicherzustellen, dass Freizeitangler vertreten sind und die von uns geschätzten Wild­fische nachhaltig bewirtschaftet werden.

 Keine falsche Bescheidenheit:  Das prächtige Hauptquartier der IGFA in Dania Beach, Florida. © stock.adobe.com

Keine falsche Bescheidenheit: Das prächtige Hauptquartier der IGFA in Dania Beach, Florida. © stock.adobe.com


Ausufernde Rekorde

Wie anfangs erwähnt eröffneten die verschiedenen Schnurstärken enorme neue Möglichkeiten für Rekorde. Diese haben bei den vor allem in den USA äusserst populären Fischarten auch ihre Berechtigung. Doch mittlerweile ist die Anzahl Rekorde schon beinah absurd hoch, was dem Ansehen der Rekordauszeichnung klar geschadet hat. So gibt es nicht nur verschiedene Schnurklassen, es wird auch noch zwischen Männern, Frauen und Kindern unterschieden. Kommt hinzu, dass mittlerweile Rekorde für über 800 Fischarten gelistet sind. Und noch schlimmer macht es der Umstand, dass wie erwähnt von Pfund auf Kilogramm und schliesslich auf Länge gewechselt wurde. Das führte unter anderem dazu, dass aktuell ein Dorsch mit «nur» 127 Zentimetern als Weltrekord gilt, da der alte Rekord (der sicher länger war) bloss mit Gewicht aufgeführt war. Immerhin hat bei den meisten Fischarten vor allem der All-Tackle-Rekord und damit der unabhängig von der Schnurstärke grösste gefangene Fisch eine Bedeutung. Und die Kategorie für Frauen und Jugendliche mag bei wirklich grossen Fischen wie Marlin und Co., deren Fang wahrhaftig anstrengend ist, Sinn machen, bringt aber ansonsten nicht viel. Nachdem einmal mit den Rekorden begonnen wurde, ist es natürlich schwierig, diese wieder aufzulösen; niemand hat Freude, wenn einem ein Weltrekord aberkannt wird.

Am Ende hat diese fragwürdige Entwicklung der Rekorde auch ihr Gutes; wir Fischer haben tatsächlich weltweit Wichtigeres zu tun, als uns um Rekorde zu kümmern, und da ist die IGFA auf dem richtigen Weg. 

 

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