Besuch beim Fliegenfischermagier
04 | 05 | 2020 VideoText: Nils Anderson | Fotos: Mauro Mazzo 06186
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Text: Nils Anderson | Fotos: Mauro Mazzo 0 6186

Besuch beim Fliegenfischermagier

Fischen als Kunstform – ist das zu hoch gegriffen? Auf der Suche nach Perfektion hat Patagonia-Gründer Yvon Chouinard den über 80-jährigen Fliegenfischer Arturo im Valle Sesia besucht und darüber einen hübschen Kurzfilm machen lassen.


Das Valle Sesia ist ein wildes, romantisches Bergtal im Norden Italiens unweit der Schweizer Grenze. Noch vor 70 Jahren war es dicht bevölkert, die Leute lebten ein einfaches Leben und betrieben Landwirtschaft. Heute ist das Tal weitgehend verlassen und verwildert. Doch der alte Dorflehrer Arturo kehrt, wann immer es ihm möglich ist, mit seiner vier Meter langen Haselrute ins Tal und an den Fluss zurück, um seine Forellen zu fangen. Dabei fehlt jede Spur von High-Tech, keine Pol-Brille, keine moderne Wurfschnur, nichts dergleichen. Es ist im Wesentlichen dieselbe Art Fischen, wie sie hier schon im 16. Jahrhundert betrieben wurde: Eine Haselrute, Pferdehaar-Schnur und -Vorfach, einfachste Fliegen aus den Vogelfedern, welche die Jäger gerade liefern konnten. «He replaced all the modern flyfishing stuff with his mind» («Er hat all das moderne Fliegenfischerzeugs mit seinem Geist, seinem Verstand ersetzt»), sagt Chouinard treffend im Film.

Es ist bereits die dritte bemerkenswerte Filmproduktion übers Fischen, produziert durch den Bekleidungshersteller Patagonia. Nach dem grossen Film über die Lachs­problematik an der amerikanischen Pazifikküste und der kämpferischen Dokumentation gegen die Verbauung der letzten Wildflüsse Osteuropas folgt nun also eine 18-minütige filmische Etüde über das Fliegenfischen. 

Arturo erzählt nicht gross von seinem Wissen und von seinen Geheimnissen. Vollendetes Fischen kann man nicht von jemandem lernen, es kann nicht direkt übernommen werden. Das Fliegenfischen in Vollendung ist eine Kunstform, die keine 3000 Franken teure Rute und die allergenauste Wurfschnur braucht. Sie stellt sich nur über die lebenslange Auseinandersetzung ein – und klar, es braucht auch Neugierde und eine ganz genaue Beobachtungsgabe. Irgendwann entwickelt sich ein individueller Weg, ein eigener Stil. Das ist der schöne, schlichte und strahlende Kern dieser Dokumentation. Mit seinem Pferdehaar-Vorfach gelingt Arturo alles, er kann die Fliege lebendig präsentieren wie kein zweiter. Wenn es sein muss, einen halben Meter unter der Oberfläche und beim nächsten Wurf schwimmend. Es sind simple, aber ungeheuer durchdachte Fliegenmuster: Etwas Seide und eine Feder. Die Federn sind aber so genau gewählt, dass sie die Vitalität, die Bewegung und die Art eines Insekts perfekt wiedergeben können.

 Seine Fliegen und Vorfächer bindet Arturo mit Federn, Seide und Pferdehaar. © Mauro Mazzo

Seine Fliegen und Vorfächer bindet Arturo mit Federn, Seide und Pferdehaar. © Mauro Mazzo

 Der betagte Fliegenfischer Arturo ist noch heute regelmässig mit seiner Hasel- rute am Wasser unterwegs. © Mauro Mazzo

Der betagte Fliegenfischer Arturo ist noch heute regelmässig mit seiner Hasel- rute am Wasser unterwegs. © Mauro Mazzo

 Wird die etwa vier Meter lange Haselrute richtig eingesetzt, lässt sich meisterhaft damit fischen. © Mauro Mazzo

Wird die etwa vier Meter lange Haselrute richtig eingesetzt, lässt sich meisterhaft damit fischen. © Mauro Mazzo

 Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Das Valle Sesia in Norditalien. © Mauro Mazzo

Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Das Valle Sesia in Norditalien. © Mauro Mazzo


«Arturo macht am Wasser Dinge, die man nicht für möglich hält», sagt Chouinard. Es sind kleinste Details beim Ablegen der Wurfschnur, es ist die genau richtige Positionierung am Fluss, der Wind, das Licht, alles einberechnet.

Situationen, wo andere ein ganzes Arsenal an Hilfsmitteln einsetzen, meistert dieser alte Mann mit seinem Kopf, indem er das wenige, das er verwendet, so meisterhaft beherrscht, dass es funktioniert – immer. Das ergibt eine Meisterschaft ohnegleichen. Diese Art der Vereinfachung ist schwierig und auch ungewohnt, weil man ihr alles unterordnen muss. Diese höchste Form, die das Beherrschen der Technik zur Kunst macht, ist das Resultat der täglichen Hingabe und Auseinandersetzung mit den Fischen, dem Gewässer, dem Wetter und allem, was dazu gehört. So bleibt auch im Jahr 2020 ein Rest der mythischen Grösse der Natur erhalten. Sie habe sein Leben verändert, meint Chouinard über die Begegnung mit Arturo. Man glaubt es ihm gerne.


Eigentlich war eine Screening-Tour für den Film geplant. Die Daten stehen allerdings wegen Corona auf der Kippe. 

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