Malaise mit der Ökosystemleistung «Fischfang»
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08 | 01 | 2018 | Schweiz | Video | 0 | 6721 |
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Die Walliser Regisseurin Mélanie Pitteloud und einer der Protagonisten, der leidenschaftliche Fischer Stefan Wenger, im abwechselnden Gespräch zur Entstehung des Dokumentarfilms «Der Lauf des Flusses».
Stefan Wenger: Mélanie, dein Dokumentarfilm «Dans le lit du Rhône / Der Lauf des Flusses» dreht sich um die dritte Rhonekorrektion. Was hat dich als Regisseurin dazu bewogen, einen Film über die Rhone zu drehen?
Mélanie Pitteloud: Während meines Filmstudiums in Kanada hörte ich im Jahr 2010 von der dritten Rhonekorrektion. Diese Revitalisierung des Flusslaufs galt schweizweit als grösstes Pilotprojekt, das hat mich sofort fasziniert. Bei meiner Rückkehr fuhr ich stromaufwärts bis zum Rhonegletscher – und das eingezwängte Dasein des Flusses, geradlinig wie eine Autobahn, hat mich betroffen gemacht. Die Rhone wurde zur Hauptdarstellerin des Films. Ich wollte ihre Geschichte erzählen, ihre Beziehung zu den Menschen erforschen.
In deinem Film lässt du verschiedene Menschen sprechen, die eine komplexe Beziehung zur Rhone haben. Wie wurden diese Menschen ausgewählt?
Zuerst habe ich Dutzende von Menschen getroffen, die eine persönliche oder spezielle berufliche Beziehung zur Rhone haben. Natürlich Fischer. Aber auch Anwohner, Ingenieure, Politiker, Biologen, Landwirte, Historiker, Umwelt-Aktivisten, Staudammarbeiter, Polizisten, Autoren, ältere Menschen und sogar einen Pfarrer.
Ich stellte mir stets die Frage: «Welche Beziehung pflegt diese Person mit dem Fluss?» Danach habe ich meine Protagonisten so ausgewählt, dass die unterschiedlichen Standpunkte am besten repräsentiert werden. Manche lieben die Rhone, viele haben aber auch Angst vor ihr. Die Fischer träumen von einem weniger kanalisierten, natürlicheren Fluss. Die Mehrheit der Walliser unterstützt heute das Vorhaben, der Rhone mehr Platz zu geben (am 14. Juni 2015 sagten 57 Prozent der Stimmbürger «Ja» zur Finanzierung der dritten Rhonekorrektion). Aber die Landwirte wehren sich und weigern sich, ihre fruchtbaren Böden an den Fluss zu verlieren.
Das birgt einigen Zündstoff. Wie hast du den Konflikt zwischen den Befürwortern der dritten Rhonekorrektion und den Landwirten im Film behandelt?
Um das Flussbett erweitern zu können, muss man irgendwoher das Land dafür nehmen. Nur ist das gesamte Rhonetal bereits vollständig verbaut. Die dritte Rhonekorrektion ist somit unausweichlich eine Ursache für Spannungen. Der Widerstand der Landwirte ist gross, denn man fordert hauptsächlich von ihnen, ihr Land zu «opfern». Gleichzeitig ist diese Revitalisierung notwendig, um zukünftige Überschwemmungen zu verhindern und dieses künstliche Ökosystem wieder zu beleben.
Als Regisseurin ging es mir nicht darum zu beweisen, wer Recht oder Unrecht hat. Denn jeder spricht aus seiner eigenen Perspektive. Ich habe vielmehr versucht, die unterschiedlichen Realitäten zu zeigen, damit sich der Zuschauer selber mit dem Thema auseinandersetzt und die öffentliche Debatte weitergeht. Denn was sich im Film abspielt, betrifft nicht nur das Wallis – ganz im Gegenteil. Bei jeder Revitalisierung eines Flusslaufs treten unweigerlich dieselben immensen Schwierigkeiten auf. Denn wir sind ein enorm dicht besiedeltes Land.
Du hast auch mit Fischern zusammengearbeitet und sie in deinem Film zu Wort kommen lassen. Wie hast du die Fischer erlebt?
Ich war fasziniert, als ich alle die notwendigen, menschlichen Manipulationen entdeckte, die es heute braucht, damit die Fische noch in der Rhone schwimmen. Angefangen mit der künstlichen Befruchtung über die Fischzucht bis hin zum Besatz... Das hat mich beim Filmen sehr berührt und ich sagte mir «Was für ein unglaublicher Aufwand, damit die Fischer noch fischen können, wo sich das doch in einem natürlichen Bach von alleine löst...»
Ich denke, dass die Filmsequenzen mit den Fischern – mit aller Emotionalität und Zwiespältigkeit, die sie in sich tragen – das Potenzial haben, uns über unser Verhältnis zur Natur zu hinterfragen. Und uns vielleicht sagen: «Okay, hier sind wir also gestrandet, was machen wir jetzt für die Zukunft?»
Mélanie Pitteloud: Und du Stefan, wie hast du die Dreharbeiten erlebt? Jetzt, nachdem du den Film gesehen hast, denkst du, es war es wert, mitzumachen, auch wenn die Fischerei mit ihren widersprüchlichen Seiten dargestellt wird?
Stefan Wenger: Ich war mir von Anfang an bewusst, dass der Film die Fischerei und die Arbeit der Fischer bestimmt kontrovers, vielleicht sogar kritisch betrachten würde. Ich habe also mit einer gewissen Risikobereitschaft auf die Karte Transparenz gesetzt und versucht, nicht nur das Fischen, sondern die vielen verschiedenen Aspekte der Fischerei aufzuzeigen. Heute, nach der Filmpremiere, kann ich stolz sagen, dass die Fischer aus meiner Sicht sehr viel gewonnen haben. Sie werden als Personen wahrgenommen, die bereit sind, für ihre Leidenschaft sehr viel zu leisten – und dies auch tun. Sei es für den Fortbestand der Fische oder für naturnahe Gewässer. Der grösste Gewinn für die Fischer liegt aber darin, dass der Film jeden Zuschauer dazu bewegen wird, sich kritisch mit seinem eigenen Umgang mit der Natur auseinanderzusetzen. Davon bin ich fest überzeugt
Eine letzte Frage habe ich noch, Mélanie: Du warst auch bei der Fischereieröffnung an der Rhone dabei. Wann wirst du deinen ersten Fisch fangen?
Gute Frage! Bevor ich Filmemacherin wurde, habe ich Politikwissenschaften und Anthropologie studiert. Diese Ansätze inspirieren mich heute für meine Dokumentarfilme. Wenn ich mich auf mir unbekannte, menschliche Realitäten einlasse, wie die Fischerei, beobachte ich zuerst und nehme ohne Kamera an den Aktivitäten teil. Diese langsame Vorgehensweise hilft mir dabei zu verstehen, welche Einstellung der andere zur Welt hat, um seine Aussage bei den Dreharbeiten am besten erfassen zu können. Das heisst jetzt nicht, dass ich Fischerin werde, aber ich teile nunmehr ein Stück dieser Realität. Die Fische in der Rhone brauchen mich also nicht zu fürchten!
Die Rhone wird seit 150 Jahren in ein Korsett gezwängt und ihr Verlauf von Menschen beherrscht. Doch der Fluss meldet sich zurück: Infolge katastrophalen Überschwemmungen laufen gigantische Bauarbeiten, um das Flussbett zu vergrössern und zu revitalisieren. Eine Entdeckungsreise in Begleitung der Bewohner, die unmittelbar mit dem Schicksal des Flusses verbunden sind – wie sehen die Menschen ihr Verhältnis zur Natur und Umwelt?
1h28
Schweiz 2017
OV französisch und deutsch, mit Untertiteln.
Ab 15. Januar 2018 im Kino.
Spielzeiten und Informationen:
www.aardvarkfilm.com
Der Film wurde vom Walliser Kantonalen Sportfischer-Verband sowie vom 111er Club unterstützt.
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