09 | 07 | 2020 | Schweiz | 1 | 11101 |
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Die Aufseher vom Thunersee
Was haben die Schlösser am Thunersee mit den einheimischen Fischarten gemeinsam? Nicht viel – oder doch? Bei genauer Betrachtung und mit ein bisschen Fantasie können die Schlösser um den Thunersee mit den einheimischen Fischarten in Verbindung gebracht werden, es gibt durchaus Parallelen!
Während unzähliger Stunden des In-sich-Gehens auf dem See vergisst man schnell, dass der Thunersee landesweit eine der höchsten Schlösserdichten aufweist. Als ein amerikanischer Freund zu Besuch war und mit uns fischte, staunten wir nicht schlecht, als dieser mehr am Fotografieren von Schlössern Freude hatte als am Fischen selbst. Für ihn waren diese Bauwerke ein absolutes Highlight, welches er – im Gegensatz zu Fischen – sonst nicht zu Gesicht bekommt. Erst da wurde uns wieder bewusst, wie schön unsere Schlösser eigentlich sind. Wie die Fische sind auch die Schlösser schon seit ewiger Zeit in der Region. Von ihren Standorten aus kann jeder Winkel des Thunersees genau beobachtet werden. So haben sie auch die Zeit der Lachswanderung im Berner Oberland erlebt. Bestimmt könnten sie uns ganz viele Geschichten über die Fischerei erzählen. Sie sind die ewigen Aufseher vom Thunersee.
Schloss Spiez | Die Felche
Das in der schönsten Bucht Europas auf einer kleinen Halbinsel gelegene Schloss und die Schlosskirche gehören zu den eindrücklichsten Zeugen der Berner Oberländer Geschichte am Thunersee. Das Schloss diente unter anderem Herzog Adrian von Bubenberg als Sitz, der in den Burgunderkriegen eine wichtige Rolle spielte. Im April 1476 wurde er zum Kommandanten von Murten gewählt und hielt gegen das anstürmende Heer Karls des Kühnen der Belagerung stand. Und so kommt auch der Vergleich mit dem Schloss Spiez und den Felchen: Auch die Felchenschwärme werden regelmässig belagert, wenn auch nicht von einem 30?000 Mann starken Heer, sondern wie es oft zu sehen ist, von einer Handvoll Fischerbooten, deren Fischer ihr Glück mit der Hegenenfischerei versuchen. Der Herzog von Spiez war übrigens ständig unterwegs. So z. B. auf einer Pilgerreise nach Jerusalem. Auch Felchen sind in ihrem Leben ständig unterwegs und ziehen in grossen Schwärmen unermüdlich ihre Runden. Kürzlich konnte eine «neue» Felchenart entdeckt werden. Es ist somit die siebte des Thunersees, welcher dadurch die grösste Felchenvielfalt sämtlicher Seen weltweit beherbergt. Schon zu Zeiten der Schlossherren war der Felchen der Brotfisch der Thunersee-Fischer.
Schloss Schadau | Die Äsche
Am Gewässerabschnitt der Aare zwischen dem Schloss Schadau und den Thuner Holzschleusen befindet sich ein Äschenlaichgebiet von nationaler Bedeutung. Über Jahrhunderte zogen hier riesige Schwärme von Äschen vorbei und suchten sich geeignete Laichplätze. Wie das denkmalgeschützte Schloss Schadau gilt auch die Äsche in der Schadau mittlerweile als geschützt. Für einige Jahre galt sogar ein kantonales Fangmoratorium. Den Äschen ging es auch schon besser als heute – es fehlen offensichtlich geeignete Lebensräume. So wie auch das Schloss Schadau momentan komplett saniert wird, sollte auch dringend etwas für die Aare in Thun gemacht werden. Wollen wir doch diesen wunderschönen Fisch mit der bekannten Fahne, wie die Rückenflosse bei der Äsche heisst, bei uns in der Region behalten!
Schloss Thun | Der Hecht
Von weit sichtbar thront seit Jahrhunderten das imposante Schloss Thun auf dem Nagelfluhrücken des Schlossbergs. Von seinen vier Türmen bietet das um 1200 erbaute Meisterwerk einen unvergesslichen Ausblick auf Berge, Stadt und See. Es erhielt seine Bedeutung durch die strategisch wichtige Lage am Ende des Thunersees und dem Aareübergang. Als Nadelöhr war der Standort prädestiniert für den Warenhandel von nah und fern. Übersicht, Strukturen im Gelände, grosses Vorkommen an Nahrung und die Kontrolle über ein Gebiet: Das sind Plätze, wie sie auch der Hecht als standorttreuer Raubfisch liebt. Wie das Schloss Thun hat auch der stattliche Hecht seinen Platz an einem ideal gelegenen Ort. Die Stadt Thun spielte in der Schlacht von Murten eine wichtige Rolle. Soldaten eilten den Eidgenossen entscheidend zu Hilfe und Thun erhielt anschliessend anstatt des schwarzen einen goldenen Stern im Wappen. Weil sich die Thuner damit nicht zufriedengaben, erhielten sie zusätzlich den Hofnarren des gefallenen Karl des Kühnen, den noch heute bekannten "Fulehung" als Dank.
Schloss Hünegg | Das Egli
Am rechten Thunerseeufer, ganz versteckt im Grünen, befindet sich das Schoss Hünegg. Der Preussische Baron Albert von Parpart und seine Gemahlin Adelheid von Bonstetten liessen das Schloss Hünegg 1861 nach Vorbildern der französischen Loire-Schlösser errichten. Das Schloss vermittelt den Eindruck, als wäre die Zeit seit 1900 stillgestanden. Die sorgfältig gestaltete Parkanlage mit vielen Pflanzen, sowohl einheimischen als auch exotischen Bäumen, erinnert an den Lebensraum der Egli. Sie lieben Lebensräume mit Wasserpflanzen und Gehölz als Laich- und Schattenplätze, als Unterstände und als Rückzugsmöglichkeit bei Bedrohung. Ist es ein Zufall, dass gerade das "filet de perche" eine Delikatesse unter Feinschmeckern ist?
Schloss Oberhofen | Die Seeforelle
Immer wieder werden das Schloss Oberhofen und sein schöner Park von Passagieren der Thunersee-Kursschifffahrt aus bewundert und fotografiert. Doch es lohnt sich, sich nicht nur mit der Aussenansicht seeseitig zu begnügen, sondern dem Schlossinnern einen Besuch abzustatten. In den verschiedenen Räumen wird der Wandel der Epochen veranschaulicht; von Gotik über Renaissance bis Barock. Der Schlosspark zählt zu den schönsten Gärten der Alpenregion. Mit seinen markanten Baumgruppen und den prächtigen Blumenparterres ist der historische Landschaftsgarten eine ideale Oase zum Verweilen und Geniessen. Passend zum 2018 als schönstes Dorf der Schweiz gewählten Oberhofen ist das gleichnamige Schloss. Dessen wunderbar verzierten Fellläden, die Wandmalereien und die unzähligen Türme erinnern an die Schönheit der einheimischen Seeforelle. Sie ist die schönste unter den Schönen! Ihre Sonnen, wie die schwarzen Punkte auf ihrem silbernen Schuppenkleid heissen, erinnern an den Stil der französischen Könige, nach dessen Vorbild das Schloss Oberhofen über acht Jahrhunderte erbaut und umgebaut wurde. Auch wenn das Fischen auf Seeforelle oft genug stunden-, ja sogar tagelanges Warten bedeutet – für viele Fischer ist die Seeforelle DIE Faszination.
Schloss Ralligen | Der Seesaibling
Von Thun am rechten Seeufer Richtung Interlaken fahrend, trifft man zwischen Gunten und dem Dorfkern von Merligen auf das Schloss Ralligen. Die unzähligen Fenster des Anwesens sind vergleichbar mit einem Schwarm von Seesaiblingen. Weil der Seesaibling so unscheinbar ist, passt er gut zum Schoss Ralligen. Der Seesaibling ist ein Fisch der grossen Tiefen – neben den Fischern begegnen ihm höchstens Taucher auf Wassertiefen von 30 Metern oder tiefer. Wie die Seesaiblinge immer in Schwärmen unterwegs sind, sind auch die Besucher im Schloss Ralligen meistens in Gruppen anwesend und verbringen einige Zeit mit Blick auf den Thunersee und seinem Markenzeichen, dem Niesen. Vor vielen Jahren gab es einen Bergsturz in Ralligen, den einzigen bekannten Bergsturz, der den Thunersee heimsuchte. Diese Naturkatastrophe schleuderte eine grosse Zahl Steinblöcke in den See. Durch den heftigen Aufprall auf das Wasser wurde vielen Fischen die Schwimmblase zersprengt. Einige Seesaiblinge scheinen aber überlebt zu haben. Ihre Stammplätze zwischen Merligen und der Beatenbucht haben sie beibehalten und der Seesaibling ist heute der meist gefangene Raubfisch des Thunersees.
Lukas Külling
Guten Tag! Ein wirklich sehr unterhaltsamer Beitrag mit der wundervollen Idee, Bau-Perlen und Fische im Text zu integrieren. Die auch sehr attraktiven Grafiken laden zu einem Besuch am Thunersee ein. Congrats.